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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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beneidete ihn zugleich und wußte nur zu gut, was für eine Bürde seine Anwesenheit in meinem Haus bedeuten würde. Glücklicherweise scheine ich aber in solchen Augenblicken plötzlicher Wut (die es bei mir nur selten gibt) nicht ganz ohne Schlauheit und Durchtriebenheit zu sein. Geschickt verbarg ich meinen Zorn, schüttelte ernst den Kopf und meinte:
    »Doch leider, Finn, könnt Ihr davon nicht Eure Zukunft abhängig machen.«
    »Wieso?« fragte Finn und blickte beunruhigt auf das Papier.
    »Wieso? Weil solche Aufträge sehr zahlreich sind. Ich wette, daß der König per diem mindestens zwei oder drei davon erteilt. Auch von meiner Frau sind schon Portraits angefertigt worden, doch für keines wurde gezahlt, und so wandern die armen Künstler, soviel ich weiß, immer noch durchs Land wie die müßigen Armen oder siechen in ihren Lumpen auf den Stufen zum Boot des Königs dahin.«
    Ich hoffte sehr, daß diese Worte Finn in jene nordische Düsterkeit stürzen würden, die so gut zu ihm paßt, doch zu meiner Verärgerung lächelte er mich nur herablassend an.
    »Für dieses wird gezahlt werden«, sagte er, »denn ich werde ein Portrait malen, das so schön ist, daß niemand ihm widerstehen kann. Ich habe gehört, daß Eure Frau sehr hübsch ist, und ich werde das, was die Natur geschaffen hat, noch verbessern.«
    »Vermutlich, indem Ihr sie mit Blumen, Harfen und albernen Girlanden umgebt? Doch diese werden Eure Chancen nicht verbessern.«
    »Nein. Nicht durch Ausschmückungen, sondern dadurch, daß mir das gelingt, Sir Robert, was Ihr versucht, aber nicht zustande gebracht habt: ihr Wesen einzufangen. Ich werde es einfangen, und ihr Gesicht wird ein Magnet sein und alle Augen und Herzen anziehen.«
    »Dann wünsche ich Euch viel Glück«, sagte ich säuerlich. »Doch seid gewarnt: Vieles, was der König beginnt, führt er nicht zu Ende. Das Getöse um ihn herum ist so stark, so gewaltig, daß er keiner Sache lange seine Aufmerksamkeit schenken kann. So seht Euch vor, Finn. Ihr kommt vielleicht mit Eurem Bild, und er sieht es sich nicht einmal an.«
    »Aber ich habe doch mein Papier …«
    »Papier! Kennt Ihr denn nicht die erste Regel des Kosmos, Finn?«
    »Welche ›erste Regel‹?«
    »Daß alle Materie aus dem Feuer kommt und eines Tages wieder in ihm aufgehen wird.«
    Nachdem ich diese fragwürdige Weisheit von mir gegeben hatte, wechselte ich schnell das Thema, bevor Finn einen Zusammenhang mit dem Blatt Pergamentpapier in seiner Hand abstreiten konnte.
    »Was Euren Aufenthalt hier betrifft«, sagte ich, »so nehme ich an, daß der König Euch Geld dafür gegeben hat?«
    »Nein, Sir Robert. Ich sagte Euch ja schon, daß ich keinen Heller habe …«
    »Ich soll Euch aus Gefälligkeit verköstigen und beherbergen?«
    »Ihr tut Seiner Majestät damit einen Gefallen!«
    »Und was soll mein Lohn dafür sein?«
    »Das hat der König nicht gesagt. Doch ich bin ein bescheidener Mensch …«
    »Nicht, wenn man von Eurer Kleidung ausgeht.«
    »Das ist bloß äußerer Schein …«
    »Genauso wie offenbar auch das Leben! Doch Gott sieht in Euer Herz, Finn, und würde er wollen, daß Ihr ein Parasit seid?«
    »Ich bin kein Parasit. Ich arbeite hart für meinen kargen Lebensunterhalt.«
    »Und das werdet Ihr auch hier tun! Als Gegenleistung für Eure Unterbringung werdet Ihr Euer ganzes Talent auf meine Arbeit konzentrieren. Ich möchte ein paar neue Bilder malen. Ihr werdet mir bei Fragen der Perspektive und des Lichts helfen.«
    »Aber was soll aus dem Portrait werden?«
    »Meine Frau ist sehr mit ihrer Musik und ihren Bemühungen, das Werk Drydens zu verstehen, beschäftigt. Sie kann nicht mehr als eine Stunde am Tag für Euch aufbringen.«
    Finn begann zu protestieren, und angesichts seiner Bestürzung fühlte ich meinen Ärger ein wenig abflauen. Beim nächsten Treffen würde ich Meg die Geschichte eines armen Bettlers erzählen, der ein kleines Stück Land bekommen hat und nun glaubt, daß seine Armut ein Ende haben wird, wenn es ihm nur gelingt, die Saat auszubringen, bevor das Frühjahr kommt. Er macht sich auf den Weg, um für die notwendigen
Anschaffungen zu betteln: für einen Pflug, einen Maulesel und eine Hacke. Er bringt diese dann auch heim, aber er kommt zu spät. Er hatte den Frühling nicht kommen sehen, und als er nun nach Hause zurückkehrt, ist er schon da. Er hatte vergessen, wie heimlich, still und leise sich die Dinge verändern und die Zeit verrinnt.
     
    Früher als beabsichtigt fand ich mich

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