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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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in der Dachkammer des »Jovial Rushcutter« wieder. Bereits die darauffolgende Nacht verbrachte ich dort im Bett.
    Der Tag von Finns Eintreffen verlief weiter ausgesprochen unerfreulich, und bis zur Abendessenszeit hatte sich in mir so viel Zorn angestaut, daß ich nur noch den Wunsch hatte, dem Hause zu entfliehen. So brüllte ich, man solle mein Pferd satteln, und ritt durch den Schneematsch zum Dorf. Auf meinem Weg traf ich zufällig auf zwei arme Leute, die Reisig auflasen; ich werde gleich noch einmal darauf zurückkommen.
    Was mich so ärgerte, war, wie Celia Finn behandelte. Als sie aus seinem dünnlippigen Munde vernahm, daß der König ihn beauftragt habe, sie zu malen, leuchteten ihre Augen vor Freude auf. Sie rief den Reifrock zu sich, um ihr die frohe Botschaft mitzuteilen (in welche sie übertriebene Hoffnungen auf ihre baldige Rückkehr nach Kew hineinlasen), und dann fingen die beiden an, um den Künstler herumzuscharwenzeln, baten ihn, sein Werk sehen zu dürfen, taten kund, daß sie es ganz wundervoll und herrlich und was weiß ich noch was fänden, und brachten dann Kleider, Schärpen und Kopfbedeckungen herbei, aus denen er für das Bild auswählen sollte. Mir schenkten sie derweilen keinerlei Beachtung, ja, sie benahmen sich so, als ginge mich das Ganze überhaupt nichts an, was leider auch der Fall war.
    Ich beobachtete Celia genau. Ihr schönes Lächeln, das ich sie so oft dem König, aber kaum jemals mir hatte schenken sehen, war fast ständig auf ihren Lippen, so daß sie unendlich hübsch und lieblich aussah. Das war die Art Lieblichkeit, die, wenn ich sie erblickte, mein Herz weich werden ließ – wie einem Kind gegenüber – und meine Männlichkeit grausam – da ich eben dieses Kindwesen besitzen und mißbrauchen wollte. Ich sah, daß Finn vollkommen in ihrem Bann war. Ich sah auch, daß Celia dies wußte und daß es ihr nichts ausmachte, ja, daß sie sich sogar erlaubte, ein wenig mit ihm zu flirten. Und besonders diese Beobachtung erweckte in mir ein bitteres Sehnen. Warum – da sie doch meine Frau war – konnte sie sich nicht mir gegenüber so charmant benehmen?
    Ich saß da und beobachtete sie, bis ich es nicht mehr aushielt. Dann ging ich ins Musikzimmer, spielte ein paar falsche Töne auf der Oboe, stieß mit einem Fußtritt den Notenständer um, schleuderte das Instrument hin und brüllte nach meinem Stallburschen. Auf dem Weg zum Stall traf ich Cattlebury, der mich davon unterrichtete, daß er zwei Dutzend Drosseln fürs Abendessen bekommen habe. Ich sagte kurz, daß ich keinen Hunger hätte, er aber die verdammten Vögel »meiner Frau und ihrem neuen Freund, Mr. Finn« in einer Pastete servieren solle. Als sie sich dann zu Tisch setzten (Celias Lächeln war in dem sanften Kerzenlicht bestimmt noch unwiderstehlicher), hatte ich schon mehrere Krüge Ale getrunken und unterhielt mich mit einem Dachdecker über die große Menge Ratten unter den Strohdächern. »Und wenn das nun Pestratten sind?« fragte ich. »Dann kommt der Tod durchs Dachgebälk.«
    Der alte Mann nickte: »Die Witwe Cartwright sagt, die
Pest wird nach Norfolk kommen. So um das Frühjahr herum.«
    Ich ging sehr spät und vollkommen betrunken zu Meg ins Bett, nachdem ich in ihren Kamin gepißt und so noch zum Schwinden der letzten Wärme in der Dachstube beigetragen hatte. Als ich sie in meinen Armen hielt, schlief ich sofort ein, meinen häßlichen Kopf an ihrer Brust.
    Als ich, wie nicht anders erwartet, mit der Bürde eines schmerzenden Kopfes und des Geruchs meines eigenen üblen Atems aufwachte, war ich allein, da es zu Megs Pflichten gehörte, früh aufzustehen, um den Boden der Schenke zu kehren und den Raum zu lüften, ehe der erste Bauer kam, um sein Bierchen zu trinken. So elend ich mich auch fühlte, stand ich sofort auf und ging zu dem niedrigen Fenster, um hinauszublicken, denn zu meinem großen Verdruß fiel mir ein, daß Danseuse am Abend nicht in den Stall gebracht worden war und so die Nacht an einen Pfosten gebunden unter dem kalten Sternenhimmel hatte verbringen müssen. Ich fragte mich, in welchem Kälte- und Leidenszustand ich sie antreffen würde.
    Ich konnte durch das kleine Fenster fast nichts erkennen, außer daß ein scheußlicher Nieselregen niederging, der so undurchdringlich wie Nebel war. Solche unwirtlichen Morgen sind es, die mich in der Erinnerung an den Hochsommer plötzlich leiden lassen. Meine Merivel-Vorfahren, Kurzwarenhändler in Poitou, mußten niemals einen englischen

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