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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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von einem lieblichen Klang unterbrochen: Celia sang. Sofort verließ ich mein Studierzimmer und ging zum Musikzimmer, wo ich dann still auf einem kleinen, zierlichen Stuhl saß und von der Stimme meiner Frau alle Gedanken über Obdachlose und Bedürftige aus meinem Kopf vertreiben ließ.

Finn mit Perücke
    I n der darauffolgenden Nacht hatte ich einen Traum von einiger Bedeutung. Ich stand auf den Bleidachplatten meines Hauses und schaute zu den Sternen am Winterhimmel hinauf, nicht durch mein Teleskop, das nirgends zu sehen war, sondern mit meinen eigenen unzulänglichen Augen. Nach einigen Stunden Sternenbetrachtung (so erschien es mir jedenfalls im Traum) fühlte ich einen schrecklichen Schmerz in den Augen und Feuchtigkeit in meinem Gesicht, wie von Tränen. Ich wischte die Tränen mit dem Rockärmel weg, und als ich dann auf diesen blickte, sah ich darauf einen roten Fleck und wußte, daß meine Augen bluteten. Ich wollte gerade hinuntersteigen, um auf meinem Gesicht einen Verband anzulegen, als ich den König sah, der in einiger Entfernung von mir auf einem niedrigen Schornstein saß und sehr ernst zu mir herüberschaute.
    »Wenn Ihr auch blutet, Merivel«, sagte er, »so habt Ihr dennoch nicht die erste Regel des Kosmos verstanden.«
    Ich wollte ihn gerade fragen, was diese »erste Regel« sei, als ich aufwachte und feststellte, daß meine Wangen naß waren. Glücklicherweise waren sie naß von Tränen und nicht von Blut, aber die Feststellung, daß ich im Schlafe vor mich hin weinte, beunruhigte mich doch sehr, und so lag ich eine Weile sehr verwirrt da und fragte mich nach der Ursache und Bedeutung des Traumes. Warum hatte ich geweint? Wegen der indischen Nachtigall? Wegen der Armen, deren Leiden sich mir nun offenbarten? Wegen meiner eigenen Dummheit? Weil ich nicht intuitiv die erste Regel des Kosmos erkannte?
    Ich stand auf und wusch mir das Gesicht. Ich zitterte dabei ein wenig vor Kälte, bemerkte aber ein Tropfgeräusch vor dem Fenster, aus dem ich schloß, daß der Schnee schmolz. Dann kroch ich wieder ins Bett zurück und dachte weiter nach.
    Es war schon fast Morgen, als ich zu der Überzeugung kam, daß das, was mir am meisten zusetzte, abgesehen von meiner hoffnungslosen Trauer um die Zeit als Narr des Königs, die Tatsache war, daß ich bei Celias Musizieren keine Rolle über die des Zuhörers hinaus spielen durfte. Ich sehnte mich danach – fieberhaft, mußte ich nun sagen –, ihr Begleiter und Partner dabei zu sein, und doch beschämten mich die Töne, die ich auf meiner Oboe erzeugte, dermaßen, daß ich das Üben nahezu völlig eingestellt hatte, weil Celia mich dabei nicht hören sollte. Wie konnte ich da je meinem Wunsch näher kommen? In Gedanken wandte ich mich mit meinem Problem an den König und wartete geduldig auf seine Antwort. Wahrscheinlich döste ich darüber ein wenig ein, denn ich sah ganz deutlich, wie der König von seinem Schoß einen Handschuh, den mein verstorbener Vater gefertigt hatte, aufnahm und ihn anzog, wodurch er mehrere Diamant- und Smaragdringe von unschätzbarem Wert an seinen Fingern verbarg. » Voilà «, sagte er. »Ihr müßt im Verborgenen lernen!«
    Wie das geschehen sollte, wußte ich nicht, und an dem Tag, der heraufgedämmert war, hatte ich keine Zeit, darüber nachzudenken, denn kaum hatte ich mein einsames Frühstück beendet, als mir Will Gates mitteilte, daß Finn gekommen sei und mich im Studio erwarte.
    Ich hatte nicht nach ihm gesandt. Seit Celias Ankunft hatte ich mein Ziel, Maler zu werden, nicht mehr so entschieden verfolgt. Meine Kämpfe mit der Oboe hatten meine Experi
mente mit Licht und Farbe fast völlig verdrängt. Doch auf dem Weg zum Studio bekam ich plötzlich Lust, zu versuchen, meine Phantasierussen in ihren verschneiten Wüsten zu malen. Im Park lag noch etwas Schnee, so daß es ratsam war, sogleich mit der Landschaft anzufangen (hauptsächlich in Weiß, mit einem schweren, schiefergrauen Himmel) und erst später zu der Wiedergabe der Leute zu kommen, wobei mir Cattlebury und Will Gates mit den Fellüberwürfen, auf deren Lieferung aus London ich noch immer wartete, als Modelle dienen könnten. So kam Finn gerade zur rechten Zeit. Er sollte mir helfen, das Bild zu entwerfen, mir zeigen, wie man die Gestalten gruppierte und in dem eintönigen Weiß Licht und Schatten andeutete. Und sollte er so hochgestochene Wünsche wie einen Hintergrund mit Statuenfragmenten haben, dann würde ich kategorisch erklären: In meiner

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