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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Wesen eindringen lassen.
    Ich weiß nicht, wie spät es war, als ich ins Haus zurückkroch. Ich schloß das Fenster. Als ich über den Speicher zur Treppe lief, bemerkte ich einen süßlichen, widerlichen Geruch, der mir bekannt vorkam; doch ich konnte mich nicht entsinnen, was es war.
    Ich habe ein wenig geschlafen. Wie viele Tage seit meinem Geburtstag vergangen sind, weiß ich nicht. Ich scheine jedes Zeitgefühl verloren zu haben.
     
    Ich hatte einen diabolischen Traum. Finn, nackt bis auf ein grünes Unterhemd, liebte gegen eine Mauer meine Frau. Ich tötete ihn. Ich schoß ihm neunundzwanzig Pfeile in den Hintern.
    Als ich aufwachte, wußte ich, woher der süßliche Geruch auf dem Speicher gestammt hatte: Es war der Geruch von Finns Perücke. Und daraus schließe ich, daß er ein Spion ist. Entweder aus eigenem Antrieb oder vom König als solcher hierhergeschickt. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß er alles gesehen hat, was auf dem Dach geschehen ist, und daß er es nach Whitehall melden wird, wodurch ich nicht bloß einen dummen Eindruck machen werde, sondern auch einen schwer irregeleiteten – eine Meinung über mich, die ich ohne weiteres teilen kann.
    Ich frage nun diesen verblödeten Merivel: »Wie bist du
in diese Lage gekommen? (Du, der du glaubtest, der ruhigen Celia gegenüber vollkommen gleichgültig zu sein, nur Frauen mit vulgärer Aufmachung zu lieben!) Ist Eitelkeit der Schlüssel? In deiner Hochzeitsnacht lag der König bei deiner Frau, während du mit einer Dorfschönen ins Reich des Vergessens sankst; hast du seit jener Nacht danach gestrebt, den Platz des Monarchen in Celias Herz einzunehmen?«
    Es übersteigt mein Fassungsvermögen. Die Liebe hat wie eine Krankheit von mir Besitz ergriffen, so heimlich, still und leise, daß ich ihr Kommen nicht gesehen und nicht gehört habe. Wenn mein Verstand auch den Wahnsinn erkennt, so glühe und brenne ich doch wie im Fieber.
    Wo oder bei wem finde ich Heilung? Ich höre Pearce von seiner dumpfen Wohnstätte aus eine Pearcesche Antwort geben. Ohne jedes Zögern instruiert er mich: »Bei dir selbst, Merivel.«
    Ich setze eine schriftliche Entschuldigung an Celia auf. Ich schreibe, daß »gewisse Ereignisse an meinem Geburtstag mir so zu schaffen gemacht haben, daß mein Verstand das Opfer eines plötzlichen Anfalls von Wahnsinn geworden ist, der mich veranlaßte, mich Euch auf so abscheuliche Weise aufzudrängen«, doch ich scheine nicht in der Lage zu sein, den Brief fortzusetzen, so daß ich mich frage, ob die Lügen und Erfindungen, die allen Gesprächen zugrunde liegen, die Ursache für das undurchdringliche Schweigen sind, das wir in unserem eigenen Schädel wahrnehmen.
    Ich sitze da und starre auf das Blatt Pergamentpapier. Ich streiche mir mit dem Federkiel über die Lippen. Mein Anus und mein rechtes Bein schmerzen vor zappeliger Müdigkeit. Meine Hand auf dem Papier ist kalt. Ich fühle mich sehr krank. Mir kommt der Gedanke, daß ich vielleicht sterbe,
und das heitert mich ein wenig auf, da der Tod, wie die Dinge nun einmal liegen, es mir ersparen würde, mich für verrückt erklären zu müssen. Wie Ihr inzwischen sicher gemerkt habt, befinden sich meine Gedanken in einem brodelnden Durcheinander. Um mein Unbehagen noch zu steigern, habe ich in meinen Schweineborsten Läuse gefunden, und dieses Ungeziefer plagt mich nun mit unerträglichem Jucken. Ich habe Will Gates angewiesen, ein Kopfbad aus Essig und Guajakol vorzubereiten, ein Patentrezept von mir aus meiner Zeit in Cambridge, für das mir meine Studienkollegen, ungewaschen und verlaust wie sie waren, am Schluß noch persönlich dankten.
    Bevor ich meine Entschuldigung an Celia nicht zu Ende geschrieben und ihr zugeleitet habe, möchte ich von ihr nicht gesehen werden, deshalb rühre ich mich nicht aus dem Zimmer und esse meine Mahlzeiten, wie ein Rekonvaleszent, von einem Tablett. Ich habe daher auch keine Ahnung, was im Haus vor sich geht – ob meine Diener ihre Pelzüberwürfe tragen, wie ich es angeordnet habe (Will Gates tut es nicht), ob sich das Portrait seiner Vollendung nähert (vielleicht mit einem in Sonnenlicht getauchten schottischen Tal hinter Celias liebreizendem Kopf) und ob Finn dem König über mich Bericht erstattet hat. Ich habe das Gefühl, in Gefahr zu sein, sehe aber nicht, woher sie kommen wird. Das Antlitz Nells, der Hexe, taucht sehr oft vor meinem geistigen Auge auf. Die Striemen auf meiner Schulter heilen nur langsam.
     
    Heute bringt mir Will

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