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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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nichts dergleichen gesehen. Wäre die Haut nicht verfärbt gewesen, dann hätte ich es für die hochgezogenen Narbenreste eines Furunkels oder einer Fistel gehalten, doch die Pigmentierung der Haut war sehr ausgeprägt, wohingegen Narbengewebe im Laufe der Zeit weiß wird. Es hatte wirklich große Ähnlichkeit mit einer kleinen Brustwarze, wie sie vielleicht die halbentwickelte Brust eines zwölfjährigen Mädchens hat.
    Am entscheidendsten bei meiner Untersuchung dieses Dings würde das Abtasten sein – weil ich dann sehen würde, welche Reaktion dies bei der alten Frau hervorrufen würde und ob es irgendwelche Absonderungen gab.
    Zunächst hielt Nell still, und ihre Hand fuhr fort, meinen Pelz zu streicheln, doch dann fühlte ich, wie ihr Körper von einem schrecklichen Zittern gepackt wurde. Hinter mir wurde das Pochen an der Tür und wurden die Rufe der Dorfbewohner immer lauter und ungeduldiger.
    »Nun?« zischte Sackpole. »Was stellt Ihr fest?«
    Doch ich zögerte.
    Noch vor wenigen Minuten hatte ich Abscheu empfunden, dann Furcht. Ich hatte mich ermahnt, ruhig zu bleiben und an meine Aufgabe mit dem wachen, aber passiven Verstand des Arztes heranzugehen. Doch jetzt, als ich versuchte, die Zitze (oder als was auch immer sich das Ding erweisen würde) zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen, und die maßlose Angst spürte, von der Nells ganzes Wesen ergriffen war, nahm urplötzlich ein tiefes Gefühl der Sorge und Verzweiflung von mir Besitz. Ich blieb noch einen kleinen Augenblick knien und betrachtete die harte, kalte und knotige Hand der Weisen Nell auf der Dachsschnauze. Dann stand ich auf und wandte mich dem Dunkel zu, in dem Sackpole wartete.
    »Soweit ich es beurteilen kann, ist hier nichts Ungewöhnliches«, sagte ich. »Das Ding ist eine normale Zyste.«
    Damit floh ich von dem Ort, zwängte mich draußen durch die Menschenmenge, die – mit Händen und Worten – nach mir schnappte, und rannte davon.
    Ich weiß nicht, was ich danach tat. Wahrscheinlich fand ich mein Pferd, stieg auf und ritt heim, aber ich kann mich
nicht daran erinnern. Die nächste Erinnerung, die ich habe, ist die, daß ich in einem heißen Bad liege und Will mich anstarrt, weil er auf der Haut meiner Schultern einige Striemen bemerkt hat, als habe mich dort etwas oder jemand gekratzt. »Schlimm, Sir«, sagt er. »Sehr schlimm.«
     
    Dann mache ich mich für meine Abendgesellschaft fertig. Meine Schultern sind eingebunden. In meinem Magen und in meinem Kopf fühle ich ein starkes Unwohlsein.
    Ich gehe hinunter und höre mich den Musikern, die soeben eingetroffen sind, mitteilen, daß mein Fest ausfällt. Ich gebe ihnen Geld und bitte sie, wieder nach Hause zu gehen. Dann rufe ich Will und sage zu ihm, er solle zum Haus der Gourlays reiten und der Familie sagen, daß ich erkrankt sei und der Musikabend nicht stattfinde.
    In diesem Augenblick kommt Celia die Treppe herunter. Sie trägt ein Kleid aus taubengrauem Taft, dessen Mieder mit aprikosenfarbenen Bändern geschnürt ist. In ihrem Haar, dessen Korkenzieherlocken frisch aufgedreht sind, trägt sie Bänder von der gleichen bezaubernden Farbe.
    Ich stehe erstarrt da. Sie kommt herunter, direkt zu mir, und ausnahmsweise lächelt sie, und ich weiß, daß dieses Lächeln mir gilt, und ich werde von der Schönheit dieses Lächelns bis ins Mark berührt. Und so kommt es, daß ich am Ende dieses höchst beunruhigenden Tages, an dem mir gesagt worden ist, daß sich mein Leben langsam auf einen tiefen Fall zubewege, mir endlich eingestehe, was ich schon seit der Nacht von Bathursts Fest wußte, daß ich nämlich eben das getan habe, wozu mich der König nicht für fähig hielt: Ich habe mich in meine Frau verliebt.

Das Ertrinken
    I ch schäme mich niederzuschreiben, was am Abend meines Geburtstags geschehen ist, doch ich will es versuchen, da dadurch vielleicht mein Schuldgefühl etwas besänftigt wird und ich den Schlaf wiederfinde, der mich nun schon seit zwei Nächten flieht.
    Ich hatte keinen Hunger, und der Gedanke an das üppige Mahl, das ich für Dégueulasse und seine Familie hatte zubereiten lassen, erregte meinen Widerwillen. Ich hatte nur den Wunsch, mit Celia allein zu sein. So nahm ich sie bei der Hand (diese Geste sollte sanft und liebevoll wirken, doch ich fürchte, daß sie eher grob und herrisch war) und sagte: »Celia. Die Nacht ist ganz klar. Kommt doch mit mir aufs Dach, wo wir durch mein Teleskop die Sterne betrachten und versuchen können, in unsere Zukunft

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