Zeit der Sternschnuppen
Wagnis Zukunft einfach und klar auszudrücken vermochten.
Bis jetzt hatte ich nur Fliegen ins Jenseits befördert.
Ich verwünschte meine Untätigkeit, schimpfte insgeheim auf meinen Nachbar, der einen halben Kilometer von mir entfernt wohnte. Er hatte mich heute in aller Frühe aus dem Schlaf gerissen, um mir eine angeblich wahre Beobachtung zu schildern. Irgendwas von einem Zelt, das nachts auf der Wiese gestanden habe. Ich hatte nur mit halbem Ohr zugehört. Ein Zelt auf der Wiese, nachts! Er trank ab und zu einige Gläschen Wein zuviel.
Johanna, meine Frau, beneidete mich jetzt wahrscheinlich um meine Waldeinsamkeit. Sie wollte später nachkommen und meine Entwürfe begutachten. Ich verwünschte meinen Entschluß, in diese Wildnis zu ziehen, war drauf und dran, meinen Zeichenkram einzupacken und in die Stadt zurückzukehren. Dort gab es wenigstens keine Ameisen und Feuerwanzen, die hier respektlos bis in die Küche vordrangen.
Ich klappte den Skizzenblock zu. Irgendwas Vernünftiges mußt du jetzt tun, sagte ich mir zum hundertsten Male. Die Stille und Einsamkeit verleitete zum Grübeln. Was zum Beispiel war vernünftig? Ich überflog die Titel meiner kleinen Bibliothek, die ich mitgenommen hatte. Beinahe alle Weisheit dieser Welt war in ihr enthalten: »Relativität und Urmaterie«, »Von der Menschwerdung des Affen«, »Pilze, eßbar oder giftig?«, »Evolution der Physik«, »Physik der Quanten«, dazu einiges über Graphik. Mich interessierten die Naturwissenschaften, obwohl ich Mühe hatte, den gelehrten Ausführungen zu folgen. Ich zog eines der Bücher aus dem Regal, blätterte darin und schob es wieder zurück. Der Henker hole die Quanten! Mein Kopf war verrußt wie ein ausgebrannter Schornstein, und es gab keinen schwarzen Glücksbringer, der meine Hirnwindungen reinigte.
Welt von morgen. Ich hätte den Auftrag nicht annehmen sollen. Du könntest dir die Sonnenflecke anschauen, überlegte ich träge. In der Ecke stand mein kleines Fernrohr, achtzig Millimeter freie Öffnung, ein Hobby für sternklare Nächte. Sonnenflecke – Sommersprossen auf der Sonne. Sie sehen heute nicht anders aus als gestern…
Der Türspalt öffnete sich. Peppi, mein Hausgenosse, trabte herein, im Maul, sich windend und piepsend, gegenständlich gewordene Furcht, eine Maus. Woraus hervorgeht, daß Peppi eine Katze ist, genauer: ein kastrierter Kater, vollgefressen, schwarzweiß. Ich hatte ihn mitgenommen, um wenigstens etwas Lebendiges um mich zu haben. Jetzt zeigte er mir stolz seine Beute und verschwand wieder, um draußen sein grausames Spielchen zu treiben.
Ich blinzelte ihm träge nach. Du hast es gut, Kater, dich interessiert die Welt von morgen nicht. Mit deiner Vernunft ist es auch nicht weit her… Im Nebenraum des Bauernhauses verkündete die Kuckucksuhr die Mittagszeit. Das asthmatische Kuckucksgeschrei erinnerte mich daran, daß ich Hunger hatte, Hunger ohne Appetit. Seitdem ich mich in diese Einöde zurückgezogen hatte, lebte ich von Konserven und Bratkartoffeln mit Ei. In der Küche häufte sich der Abwasch. Jeden Tag das gleiche Problem: Essen zubereiten, die moderne Form der Strafarbeit. Einkaufen, Kartoffeln schälen, kochen, essen, abwaschen und wieder einkaufen – ein idiotisches Karussell. Dieses Eremitendasein hatte seine Spielregeln. Was mochte wohl Diogenes gegessen haben? Vermutlich Knoblauch, Früchte und Fladen. Hier fühlte ich eine gewisse Verwandtschaft mit ihm. Ob er tatsächlich in einer Tonne gewohnt hatte? Gewiß war der merkwürdige Sonderling nicht darauf versessen gewesen, sich den Kopf über die Welt von morgen zu zerbrechen. Ich wollte es auch nicht mehr, war entschlossen, am nächsten Tag reumütig in die Stadt zurückzukehren.
Ich stülpte mir einen alten Strohhut auf, trat hinaus, um eine Portion Pilze zu suchen.
Gluthitze schlug mir entgegen. Vor der Haustür spielte Peppi mit der Maus. Nur ihr jammervolles Piepsen war zu vernehmen. Sogar die Vögel in den Baumkronen druselten vor sich hin.
Der dichte Kiefernwald umschloß das alte Bauernhaus wie eine Mauer. Nur hinter dem Haus wurde das Dickicht von einer Wiese unterbrochen. Wenn ich hier stand, hatte ich immer das Empfinden, allein auf der Welt zu sein. Es war so still, als wäre die Erde unbewohnt. Nirgendwo in der unmittelbaren Umgebung eine menschliche Ansiedlung. Wie ein Ozean verlor sich die Wiese im Dunst des Horizonts. Es war beruhigend, zu wissen, daß mein Nachbar, jener Frühaufsteher, hinter den Bäumen wohnte, fünf
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