Zeit der Sternschnuppen
Vermögen gebracht. Ich kramte in meinen Taschen, fand gerade noch so viel Kleingeld, um mit dem Bus in die Stadt zu kommen. Auf dem Fensterbrett entdeckte ich die sauren Bonbons. Sie erinnerten mich an meine Verschwendungssucht vom Nachmittag. Recht so, dachte ich erbittert, Dummheit muß bestraft werden.
Meine Verstimmung war indes nicht von langer Dauer. Was hatte ich eigentlich verloren…? War ich nicht vor wenigen Stunden noch bereit gewesen, auf alle Reichtümer zu verzichten, wenn ich nur hier bleiben durfte? Dieser Wunsch war ehrlich gemeint gewesen. Jetzt war er in Erfüllung gegangen. Ich hatte nichts verloren, im Gegenteil, mein Reichtum, die Erinnerung an ein wunderbares Abenteuer, war unzerstörbar, blieb mir ein Leben lang erhalten.
Nein, es gab keinen Anlaß für mich, zu klagen. Ich trat hinaus, blickte in den wolkenverhangenen Himmel, dachte mit etwas Wehmut an den winzigen Stern, dem Aul entgegeneilte. Eine fremde, vielleicht sogar beängstigende Welt für uns; umschloß sie doch eine uns noch nicht faßbare Zukunft. Für uns blieb sie rätselhaft wie die ferne Vergangenheit. Ich hatte ein Stück dieser Zukunft gesehen, ohne sie begreifen zu können. Nur eines war mir in glückhafter Erkenntnis zur Gewißheit geworden: Wie schwer der Weg auch sein mochte, der noch vor der Menschheit lag, er führte ins All. Seine Wegbereiter werden von dem gleichen tiefen Humanismus erfüllt sein, den Me mir in seinem Denken offenbart hatte.
Ich danke dir, unbekannter Freund. Du verstehst, warum ich deinem Ruf nicht folgen konnte. Ich danke auch dir, Sternschnuppchen. Du wirst immer bei mir sein, deine naive Freude und deine Lauterkeit werden mich immer begleiten…
Ich ging ins Haus zurück, ließ das Wasser aus der Pumpe ablaufen. Es wurde höchste Zeit, die unfreundliche Behausung zu verlassen. Auf dem Küchentisch stand das Glas mit den Alpenveilchen. Auch dieses kleine Geschenk hatte Aul vergessen. Da sie hier erfrieren würden, nahm ich sie heraus, wickelte sie in Zeitungspapier. Ich wollte das Wasser aus dem Glas gießen, als ich ein leises Klirren vernahm. Auf dem Grunde des Glases, groß wie eine Haselnuß, funkelte ein blauer Diamant von wunderbarem Schliff.
Überrascht und fasziniert von dem herrlichen Stein, begriff ich das Phänomen zuerst nicht. Dann erinnerte ich mich an Auls verspielte Angewohnheit, Blumenvasen auf diese Weise zu verschönern. So hatte sie mir unbeabsichtigt doch noch einen sichtbaren Abschiedsgruß hinterlassen. Das gleißende Feuer des kostbaren Steins erfüllte mich mit unnennbarer Freude. Wie ein funkelnder Stern lag er in meiner Hand, lebendige Erinnerung an Unvergängliches, Ende und Anfang, Morgengabe für jemanden, der nicht zu den Sternen fliegen konnte, sondern immer fest auf der Erde gestanden hatte.
Ich verbarg Auls Hinterlassenschaft in einem Tuch.
Draußen erwachte der Tag. In der Ferne ratterte ein Traktor. Sie brachten Heu in die Ställe. Ich verschloß die Haustür, stakte langsam durch den Schnee der Landstraße zu. Meine Hand umklammerte in der Manteltasche den einzigen bleibenden Beweis eines einmaligen Geschehens. Ein phantastisches Kapitel meines Lebens war zu Ende, die neue Seite noch nicht umgeblättert. Aber es gab kein Stehenbleiben. Ich mußte mit dem Heute und dem, was nun auf mich zukam, fertig werden. An festem Willen und guten Absichten mangelte es mir nicht.
Aus den Mitteilungen des astronomischen Monatsheftes »Die Sterne« vom Juli des gleichen Jahres:
»Am 4. Juli, 22 Uhr MEZ, wurde von mehreren mitteleuropäischen Sternwarten sowie zahlreichen Amateurastronomen am Nordhimmel ein außerordentlich intensiver Sternschnuppenfall beobachtet. Da die Aquariden bekanntlich nicht vor dem 24. Juli in den Anziehungsbereich unseres Planeten gelangen, vermuten einige Astronomen, daß diese hellen und ungewöhnlich lange leuchtenden Sternschnuppen von einem extragalaktischen Meteoritenschwarm herrührten. Der bekannte Schweizer Astronom Guido Üchteli widerspricht dieser These allerdings. Aus Größe, Farbe und Leuchtdauer schließt Üchteli auf die Auflösung eines überschweren Kometenkerns. Mr. Jenkins von der Kgl. Britischen Sternwarte und I. P. Watschjawski von der Sofioter Sternwarte haben sich dieser Auffassung angeschlossen.
Dagegen vertritt Prof. Dr. Kahnbert von der Auerbacher Sternwarte die Ansicht, daß die ungewöhnlichen Erscheinungen vom 4. Juli ihren Ursprung innerhalb unseres Sonnensystems haben müßten, da die Radialgeschwindigkeit der
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