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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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einmal. Er wartete, bis seine Atmung wieder gleichmäßig war, dann riskierte er es, ein Auge einen Spalt zu öffnen …
    Nun, es war auf jeden Fall immer noch Northumbrien, der nördliche Teil, wo Englands wogende Felder auf die feindseligen Felsen Schottlands prallen.
    Er erkannte die sanften Hügel wieder, die mit vertrocknetem Gras bedeckt waren und aus denen sich hier und dort unvermittelt eine Felsenspitze wie ein Zahn in den Himmel bohrte. Er schluckte und rieb sich Kopf und Gesicht mit beiden Händen, um sich zu vergewissern, dass er noch von dieser Welt war. Er fühlte sich unwirklich. Selbst nachdem er seine Finger, Zehen und seine intimen Körperteile sorgfältig durchgezählt hatte – Letztere vorsichtshalber zweimal –, hatte er das zutiefst unangenehme Gefühl, dass irgendetwas Wichtiges fehlte, dass es irgendwie abgerissen und zurückgeblieben war.
    Seine Ohren dröhnten immer noch, ähnlich wie nach einem Einsatz, bei dem er besonders viel zu tun gehabt hatte. Doch warum? Was hatte er gehört?
    Er stellte fest, dass er sich jetzt etwas besser bewegen konnte, und es gelang ihm, den Himmel abzusuchen, Sektor für Sektor. Da oben war nichts. Er konnte sich auch nicht erinnern, dass da etwas gewesen wäre. Und doch brummte und klirrte es in seinem Schädel, und die Erregung lief ihm in Wellen über die Haut. Er rieb sich fest die Arme, damit das aufhörte.
    Horripilatio. Das ist das Fachwort für Gänsehaut, hatte ihm Dolly erzählt. Sie hatte ein kleines Notizbuch und schrieb sich Wörter auf, die sie beim Lesen aufstöberte; sie war eine große Leseratte. Auch den kleinen Roger setzte sie sich abends schon auf den Schoß, um ihm vorzulesen. Mit großen Augen betrachtete er dann die bunten Zeichnungen in seinem Bilderbuch.
    Der Gedanke an seine Familie half ihm auf die Beine. Er schwankte zwar noch, doch es ging jetzt besser, ja, definitiv besser, obwohl es sich nach wie vor so anfühlte, als passte er nicht richtig in seine Haut. Das Flugzeug, wo war es?
    Er sah sich um. Es war kein Flugzeug zu sehen. Nirgendwo. Dann fiel es ihm wieder ein, und sein Magen ballte sich zusammen. Wahr, es war wahr. In der Nacht war er sich sicher gewesen, dass er träumte oder halluzinierte, hatte sich hingelegt, um sich zu erholen, und musste eingeschlafen sein. Doch jetzt war er wach, da gab es keinen Irrtum; er hatte ein Insekt auf dem Rücken und schlug danach, um es zu zerquetschen.
    Sein Herz pochte aufgeregt, und seine Handflächen waren verschwitzt. Er wischte sie an seiner Hose ab, und sein Blick überflog die Landschaft. Sie war zwar nicht flach, aber viel Deckung bot sie auch nicht. Keine Bäume, keine bewaldeten Mulden. In einiger Entfernung lag ein kleiner See, er fing das Glänzen des Wassers auf – aber wenn er im Wasser gelandet wäre, müsste er doch wohl nass sein?
    Vielleicht war er ja so lange bewusstlos gewesen, dass er wieder getrocknet war, dachte er. Vielleicht hatte er es sich nur eingebildet, das Flugzeug in der Nähe der Steine zu sehen. Er konnte doch wohl nicht von dem See bis hierher gelaufen sein und es vergessen haben? Er setzte sich in Richtung des Sees in Bewegung, weil ihm einfach nichts Besseres einfallen wollte. Es war eindeutig einige Zeit verstrichen; der Himmel war wie von Zauberhand aufgeklart. Nun, zumindest würden sie ihn ohne große Probleme finden; sie wussten ja, dass er in der Nähe des Walls war. Mit Sicherheit kam bald ein Laster; er konnte nicht mehr als zwei Stunden vom Flugplatz entfernt sein.
    »Zum Glück«, murmelte er. Er hatte sich eine ausnehmend gottverlassene Stelle für seinen Absturz ausgesucht – nirgendwo war eine Farm oder auch nur ein Weidezaun in Sicht, nirgendwo nur der winzigste Hauch von Kaminrauch.
    Sein Kopf wurde langsam klarer. Er würde einmal um den See herumgehen – nur für alle Fälle – und sich dann zur Straße aufmachen. Vielleicht traf er ja den entgegenkommenden Hilfstrupp.
    »Und dann soll ich ihnen sagen, dass ich das verdammte Flugzeug verloren habe?«, fragte er sich laut. »Aye, schon klar. Komm schon, du kleiner Idiot, denk nach! Wo hast du es zuletzt gesehen?«
    ER WANDERTE lange vor sich hin. Langsam wegen seines Knies, doch nach einer Weile fiel es ihm leichter. Nur seinem Kopf wurde nicht leichter zumute. Irgendetwas stimmte mit der Landschaft nicht. Natürlich war Northumbrien eine wilde Gegend, aber doch nicht so wild. Er hatte eine Straße gefunden – doch es war nicht die Landstraße gewesen, die er von der Luft aus

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