Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
erwischte.
Es war der einzige Treffer, den er landen konnte. Innerhalb von zwei Minuten hatten sie ihn buchstäblich zu Brei geschlagen, ihm die Taschen durchwühlt, ihn seiner Jacke und der Hundemarken beraubt, ihn die Straße entlanggeschoben und ihn einen steilen Felshang hinuntergeworfen.
Er prallte im Rollen von einem Stein gegen den nächsten, bis es ihm gelang, einen Arm auszustrecken und sich an einem kleinen Dornbusch festzuhalten. Rutschend kam er zum Halten und lag keuchend mit dem Gesicht in einer Heidepflanze, während er unpassenderweise daran denken musste, wie er mit Dolly ins Kino gegangen war, kurz bevor er sich freiwillig gemeldet hatte. Sie hatten den Zauberer von Oz gesehen, und allmählich kam er sich unangenehm wie das Mädchen in diesem Film vor. Vielleicht lag es ja daran, dass die Männer solche Ähnlichkeit mit Vogelscheuchen und Löwen hatten.
»Den verdammten Löwen konnte man wenigstens verstehen«, murmelte er und setzte sich auf. »Himmel, was jetzt?«
Ihm kam der Gedanke, dass dies ein guter Zeitpunkt sein könnte, um mit dem Fluchen aufzuhören und mit Beten anzufangen.
London, zwei Jahre später
SIE WAR NOCH NICHT LÄNGER ALS FÜNF MINUTEN von der Arbeit zu Hause. Gerade Zeit genug, Roger aufzufangen, der wie wild auf sie zugerannt kam und »MAMI!« kreischte, während sie so tat, als würde sie fast umgeworfen – sie musste kaum noch so tun; er wurde jetzt groß. Gerade Zeit genug, ihrer Mutter eine Begrüßung zuzurufen, die gedämpfte Antwort aus der Küche zu hören, hoffnungsvoll zu erschnüffeln, ob es etwas zu essen gab, und einen verlockenden Hauch von Ölsardinen aufzufangen, der ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ – eine seltene Delikatesse.
Gerade Zeit genug, sich hinzusetzen – es kam ihr wie das erste Mal seit Tagen vor –, ihre hochhackigen Schuhe auszuziehen und sich von der Erleichterung überfluten zu lassen wie von einer Welle am Meer. Bestürzt bemerkte sie das Loch in ihrem Strumpf. Ausgerechnet ihr letztes Paar. Gerade zog sie sich das Strumpfband aus und dachte, dass sie wohl anfangen musste, Selbstbräuner zu benutzen wie Maisie und sich dann mit einem Augenbrauenstift sorgfältig eine Naht auf die Rückseite der Beine zu malen, als es an der Tür klopfte.
»Mrs. MacKenzie?« Der Mann, der an der Wohnungstür ihrer Mutter stand, war hochgewachsen, ein dunkler Umriss im gedämpften Flurlicht, doch sie wusste sofort, dass es ein Soldat war.
»Ja?« Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz einen Satz tat, dass sich ihr Magen verkrampfte. Sie versuchte mit aller Kraft, sie zu dämpfen, zu leugnen, die Hoffnung, die wie ein Streichholz in ihr aufflammte. Ein Irrtum. Es hatte ein Irrtum vorgelegen. Er war nicht umgekommen, er war irgendwie verschollen gewesen, vielleicht gefangen genommen, und jetzt hatten sie ihn gefun … Dann sah sie die kleine Schachtel in der Hand des Soldaten, und die Beine versagten ihr den Dienst.
Es glitzerte am Rand ihres Gesichtsfeldes, und das besorgte Gesicht des Fremden verschwamm über ihr. Hören konnte sie jedoch – hörte, wie ihre Mutter aus der Küche gelaufen kam, so eilig, dass ihre Pantoffeln klatschten, und dann aufgeregt redete. Hörte den Namen des Mannes, Hauptmann Randall, Frank Randall. Hörte Rogers heisere Kinderstimme, die ihr warm »Mami? Mami?« ins Ohr sagte.
Dann war sie auf dem Sofa und hielt eine Tasse mit heißem Wasser in der Hand, das nach Tee roch – sie konnten nur einmal in der Woche neue Teeblätter nehmen, und heute war Freitag, dachte sie unwichtigerweise. Er hätte Sonntag kommen sollen, sagte ihre Mutter gerade, dann hätte er eine anständige Tasse bekommen. Aber vielleicht hatte er ja sonntags keinen Dienst?
Ihre Mutter hatte Hauptmann Randall auf den besten Sessel gesetzt, neben der Heizsonne, die sie als Zeichen der Gastfreundschaft auf »zwei« gestellt hatte. Ihre Mutter hatte Roger auf dem Schoß und plauderte mit Hauptmann Randall. Ihr Sohn interessierte sich mehr für die kleine Schachtel, die auf dem Beistelltischchen stand; er streckte immer wieder die Hand danach aus, doch seine Großmutter ließ nicht zu, dass er danach griff. Marjorie sah seinen konzentrierten Blick. Er würde zwar keinen Wutanfall bekommen – das kam bei ihm nur selten vor –, aber er würde auch nicht aufgeben.
Er sah seinem Vater nicht sehr ähnlich, es sei denn, es gab etwas, das er sich sehr wünschte. Sie richtete sich ein wenig auf und schüttelte den Kopf, und von ihrer Bewegung
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