Zeit der Träume
Dana.
»Ich glaube, hier liegt ein Irrtum vor.« Zoe blieb unschlüssig stehen. »Ich verstehe nichts von Kunst, jedenfalls nichts von echter Kunst. Und Bücher... na ja, ich lese zwar, aber...«
»Bitte, setzen Sie sich doch.« Pitte nötigte sie, in einem Sessel Platz zu nehmen. »Fühlen Sie sich bitte ganz wie zu Hause. Ich hoffe, Ihrem Sohn geht es gut?«
Zoe erstarrte, und ihre goldbraunen Augen wurden hell wie die eines Tigers. »Ja, Simon geht es gut.«
»Mutterschaft ist auch eine Art von Kunst, finden Sie nicht, Miss McCourt? Eine Mutter erschafft eins der grundlegendsten, bedeutendsten Kunstwerke, und dazu ist besonders viel Herz und Wert erforderlich.«
»Haben Sie Kinder?«
»Nein. Dieses Geschenk ist mir leider verwehrt geblieben.« Er streifte Rowenas Hand, dann erhob er sein Glas. »Auf das Leben und alle seine Geheimnisse.« Seine Augen blitzten über den Rand des Glases. »Sie brauchen keine Angst zu haben. Niemand hier wünscht Ihnen etwas anderes als Gesundheit, Glück und Erfolg.«
»Warum?«, wollte Dana wissen. »Sie kennen uns doch gar nicht, auch wenn Sie viel mehr über uns zu wissen scheinen als wir über Sie.«
»Sie sind eine Suchende, Miss Steele. Eine intelligente, direkte Frau, die nach Antworten sucht.«
»Die ich allerdings meistens nicht bekomme.«
Er lächelte. »Es ist meine größte Hoffnung, dass Sie alle Antworten finden werden. Für den Anfang möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Mir scheint, es ist eine Nacht für Geschichten.«
Er lehnte sich zurück. Seine Stimme war, ebenso wie Rowenas, melodiös und kräftig und wirkte leicht exotisch. Die perfekte Stimme, um in stürmischen Nächten Geschichten zu erzählen, dachte Malory.
Sie entspannte sich ein wenig, schließlich hatte sie doch sowieso nichts Wichtigeres zu tun, als in einem fantastischen Haus an einem knisternden Kaminfeuer zu sitzen, Champagner zu trinken und einem seltsamen, gut aussehenden Mann zu lauschen.
Das war tausendmal besser, als sich eine Pizza nach Hause zu bestellen, vor allem, wenn sie an ihr Konto dachte.
Und wenn sie das Haus besichtigen und sie Pitte in die Galerie locken könnte, damit er seine Kunstsammlung erweiterte, dann könnte sie vielleicht sogar ihren Job retten.
Malory lehnte sich ebenfalls in ihrem Sessel zurück und beschloss, den Abend zu genießen.
»Vor langer Zeit lebte in einem Land mit hohen Bergen und weiten Wäldern ein junger Gott. Er war das einzige Kind seiner Eltern, die ihn sehr liebten. Er besaß ein hübsches Gesicht und war stark an Herz und Körper. Eines Tages sollte er der Herrscher sein, wie sein Vater vor ihm, und so wurde er dazu erzogen, Gott-König zu werden, kühl in seinem Urteil und rasch in den Handlungen.
Es herrschte Frieden in dieser Welt, da die Götter dorthin gekommen waren. Es gab Schönheit, Musik und Kunst, Geschichten und Tanz. Soweit die Erinnerung reichte, und das Gedächtnis eines Gottes ist unendlich, gab es an diesem Ort nur Gleichgewicht und Harmonie.«
Er schwieg, um einen Schluck Champagner zu trinken, und musterte sie der Reihe nach. »Hinter dem Vorhang der Macht, durch den Schleier des Vorhangs der Träume, schauten sie auf die Welt der Sterblichen. Geringere Götter durften sich mit den Sterblichen vermischen, und so entstanden Feen und Kobolde, Elfen und andere Zauberwesen. Manche fanden die Welt der Sterblichen mehr nach ihrem Geschmack und bevölkerten sie. Einige erlagen natürlich auch den Mächten in dieser Welt und wandten sich dunkleren Wegen zu. So ist es eben, selbst in der Natur von Göttern.«
Pitte beugte sich vor, um sich einen dünnen Cracker mit Kaviar zu nehmen.
»Sie alle kennen Geschichten über Magie und Hexerei, Märchen und Fantasien. Haben Sie schon einmal überlegt, Miss Steele, da Sie ja eine der Hüterinnen von Geschichten und Büchern sind, wie solche Erzählungen Teil einer Kultur werden und aus welchen Quellen der Wahrheit sie entspringen? Es geht stets darum, jemandem oder etwas eine Macht zu verleihen, die größer ist als unsere eigene. Unser Bedürfnis nach Helden, Bösewichten und Romantik wird dadurch gespeist.« Dana zuckte mit den Schultern, obwohl sie das Thema eigentlich faszinierte. »Wenn zum Beispiel König Artus als kriegerischer König wirklich existierte, wie viele Wissenschaftler glauben, dann ist doch sein Bild viel mitreißender und potenter, wenn wir ihn in Camelot mit Merlin sehen. Wenn er mit Hilfe von Zauberei gezeugt wurde und als Junge zum König gekrönt
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