Zeit des Aufbruchs
Augenblicke, da zog er das Alleinsein vor oder die Witze in der Gesellschaft der Männer. Doch jetzt brannte er darauf zu erfahren, was für einen Handel Mara mit dem Hüter des Kaiserlichen Siegels abgeschlossen hatte. Das Pergament, das ihr irgendwelche Rechte garantierte, war in Maras persönlicher Truhe mit Papieren aufbewahrt. Sie hatte sie nicht bei den anderen Sachen in Sulan-Qu gelassen, sondern sie den ganzen Weg zu ihren Füßen in der Sänfte gehabt.
Ayakis übermütige Begrüßung hinderte Kevin daran herauszufinden, wohin die Truhe gebracht wurde. Doch Mara mußte angeordnet haben, daß sie sofort weggeschlossen werden sollte, denn als sie damit fertig war, die Bediensteten wegen des langen Aufbleibens ihres Sohnes zu schelten, sah Kevin, daß die Truhe nicht mehr da war. Die Träger waren bereits in Richtung der Lagerräume verschwunden, und Jican war nirgends zu sehen. Kevin war weise genug, um zu wissen, daß er aus Arakasi keine Informationen herauslocken konnte, und so wartete er die ganze Stunde, während Mara sich bei einer Tasse Chocha und einer Kleinigkeit zu essen von Nacoya die Neuigkeiten der letzten Tage erzählen ließ. Er wartete schon im Schlafzimmer auf sie, als auch sie sich erschöpft von der Reise endlich zurückzog.
Er begriff sofort, als er sie umarmte, daß etwas nicht in Ordnung war. Ihre Lippen fühlten sich kalt auf seinen an, und ihr Lächeln wirkte gezwungen. Er wollte sie gerade fragen, was los sei, als sie in die Hände klatschte, um sich von Bediensteten Badewasser bringen zu lassen. Was danach geschah, beunruhigte ihn noch mehr. Als die Leidenschaft abgekühlt war, lag er still in den Kissen; die Läden waren leicht geöffnet und ließen das kupferfarbene Licht des Mondes in Form eines Rechtecks auf den Boden fallen. Kevin spürte, daß die Frau in seinen Armen immer noch nicht entspannt war. Im nachhinein erkannte er, daß ihr Liebesspiel diesmal hastig gewesen war, ganz und gar nicht die langsame Spirale, die sich verführerisch der Ekstase näherte, wie Mara es sonst bevorzugte. In ihren Reaktionen auf seine Berührungen hatte eine versteckte Verzweiflung gelegen, die Kevin beinahe entgangen wäre.
Er streckte die Hand aus und strich ihr sanft die Haare von den Schläfen zurück. »Ist irgend etwas?«
Mara rollte sich auf die Seite. Ihre Gestalt war nur schattenhaft zu erkennen, doch Kevin spürte ihren Blick auf sich ruhen. »Ich bin erschöpft von der Reise«, sagte sie, doch ihre Worte klangen bemüht.
Kevin faßte sie an den Handgelenken und zog sie sanft an sich. »Du weißt, daß ich dich liebe.«
Doch sie vergrub ihren Kopf an seiner Schulter und wich seinem Angebot zu reden aus.
Kevin unternahm einen weiteren, harmlosen Versuch und bettete ihr Kinn in seine Hand. »Du hast etwas Wichtiges vor. Was war das eigentlich für ein geheimnisvolles Dokument, das du vom Hüter des Kaiserlichen Siegels ergattert hast?«
Mara antwortete überraschend ungehalten: »Du kannst nicht erwarten, daß ich dich in allen Angelegenheiten ins Vertrauen ziehe.«
»Nein?« Kevin setzte sich auf; er war sich über die Ursache ihrer Feindseligkeit nicht im klaren, und das schmerzte genug, um mit leichter Bitterkeit zu reagieren. »Bedeute ich dir so wenig?«
»Du bedeutest mir sehr viel«, sagte Mara sofort. Es war die Furcht, die ihre Stimme kalt klingen ließ, doch in der Dunkelheit hörte er nur den Ton. Sie wandte sich von ihm ab und setzte sich auf, schlang die Hände um die Knie und preßte sie fest gegeneinander. »Du bedeutest mir alles.«
»Dann erzähl mir, was für einen Handel du in Kentosani abgeschlossen hast.« Kevin strich sich eine Haarlocke mit einer Geste zurück, die Mara so vertraut war, daß es weh tat. »Ich weiß, es betrifft Midkemia.«
»Arakasi hat dir das nicht gesagt«, zischte Mara vorwurfsvoll.
»Nein, ich habe es zufällig gehört.« Aus Kevins Geständnis sprach keinerlei Scham, und das ärgerte sie.
Mara entließ einen lang angehaltenen Atemzug. »Nur mein Supai und ich kennen den Inhalt dieses Schriftstücks, genau wie ich es wollte.«
Jetzt war Kevin davon überzeugt, daß sie etwas verbarg, und er fürchtete, daß es sich um etwas handelte, was seinem Volk schaden könnte. Er versuchte es noch einmal. »Du hast gesagt, ich bedeute dir etwas.«
Mara saß im Schein des Mondes und war vollkommen still. Ihr Profil verhärtete sich, wurde ausdruckslos, auf erzürnende Weise durch und durch tsuranisch. Sie sagte nichts. Ohne zu ahnen, daß
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