Zeit des Aufbruchs
sie in einem persönlichen Konflikt gefangen war, der nur wenig mit dem Thema zu tun hatte, streckte Kevin die Hand nach ihr aus.
»Besteht denn kein Vertrauen zwischen uns, nach all den Jahren, die wir schon zusammen sind?« In seiner Stimme schwang eine Überzeugungskraft mit, die genügte, um ihr weh zu tun; doch noch immer wäre es ihr möglich gewesen, ihm zu widerstehen, hätte er nicht seine Hand ausgestreckt und begonnen, voller Zärtlichkeit ihre Schulter zu streicheln. »Mara, wenn du Angst vor etwas hast, warum willst du es mir nicht sagen?«
Sie schüttelte seine Hand ab und wich zurück. Das kam völlig unerwartet, und es schmerzte so sehr, daß es ihm den Atem raubte. »Wovor sollte ich wohl Angst haben?« Ihre Worte klangen barsch, und er konnte nicht ahnen, daß er genau den Punkt getroffen hatte, der sie beunruhigte. Sie hatte Angst – vor der Macht, die er über sie hatte, vor dem Chaos, das er in ihr anrichtete. Kalt und in einer Art Notwehr reagierte sie mit dem einzigen Mittel, von dem sie ganz sicher wußte, daß es ihn auf Distanz bringen würde. »Du bist ein Sklave«, sagte sie mit eisiger, beißender Schärfe. »Es steht einem Sklaven nicht zu, darüber zu befinden, was ich fürchte oder nicht fürchte.«
Jetzt war auch Kevin verärgert, und ohne weiter nachzudenken, schlug er ebenfalls einen schärferen Ton an. »Ist das alles, was ich für dich bin? Ein Sklave? Ein Stück Eigentum? Habe ich nicht mehr Bedeutung als ein beliebiger Needra-Bulle oder ein Küchenjunge?« Er schüttelte den Kopf und bemühte sich tapfer, seine Stimme wieder sanft werden, den Schmerz nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. »Ich dachte, nach Dustari und einer gewissen Nacht in Kentosani hätte ich in deinen Augen etwas an Wert gewonnen.« Er spürte, wie ein Zittern langsam von seinem Körper Besitz ergriff, und kämpfte gegen das Gefühl an, das ihre Leute so verabscheuten. »Ich habe Männer für dich getötet, Lady. Im Gegensatz zu euch nehmen die Leute meiner Heimat nicht leichtfertig anderen das Leben.«
Sein Stolz traf sie mitten ins Herz und drehte ihr den Magen um. Im nächsten Augenblick würde sie zu weinen anfangen, und in dem verzweifelten Versuch, ihren eigenen Schmerz zurückzuhalten, behielt Mara grimmig die Beherrschung, ganz als würde sie ihrem fürchterlichsten Feind und nicht ihrem geliebtesten Freund gegenüberstehen. »Du vergißt dich. Du vergißt, daß dein Leben hätte beendet werden können, als du es wagtest, Hand an ein Schwert zu legen. Du bist ein Sklave wie andere Sklaven, und um dich an deinen Platz zu erinnern, ist es wohl das beste, wenn du meine Kammer verläßt und den Rest der Nacht bei deinen Kameraden in den Sklavenunterkünften verbringst.«
Kevin saß einfach da, reglos vor Erstaunen.
»Geh!« sagte Mara. Sie schrie nicht, doch in ihrer Stimme lag die Endgültigkeit eines Henkers. »Das ist ein Befehl.«
Kevin stand auf, selbst in seiner Wut noch würdevoll. Er grapschte die Hosen von der Truhe bei den Kissen, machte sich jedoch nicht die Mühe, sich anzukleiden. Nackt, groß und stolz sagte er: »Ich habe meine Kameraden im Stich gelassen, indem ich meine Liebe mit ihrem Feind teilte. Sie mögen Barbaren sein und Sklaven, aber sie schieben ihre Loyalität nicht so schnell beiseite. Es wird mir ein Vergnügen sein«, schloß er, drehte sich um und ging, ohne sich noch einmal umzuschauen, geschweige denn sich zu verbeugen.
Mara saß einfach nur da, stocksteif. Erst als er schon lange gegangen war, begann sie zu weinen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits gegen den Sturz der Hütte geklopft, in der Patrick lebte, und bat höflich um Einlaß.
»Kev?« kam eine schläfrige Stimme. »Bist du es, alter Freund?«
Kevin trat über die Türschwelle, dann fluchte er, als es ihm wieder einfiel: Die Sklavenhütten hatten keine Laternen. Er kroch ins Dunkel und setzte sich auf den feuchten, schmutzigen Boden.
»Verdammt«, murrte Patrick. Er setzte sich auf die dürftige Pritsche, die als Bett, Stuhl und Tisch zugleich diente. »Du bist es wirklich. Mußtest du unbedingt mitten in dieser verdammten Nacht hier aufkreuzen? Du weißt doch, daß wir vor Morgengrauen aufs Feld müssen.«
Da war mehr als nur ein Vorwurf in der Stimme seines midkemischen Kameraden. Kevin, der in dieser Nacht schon einmal einen Fehler gemacht hatte, als es um die Gefühle einer anderen Person ging, und dadurch ernüchtert worden war, entschied sich für eine taktvolle Vorgehensweise. »Stimmt
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