Zeit des Aufbruchs
eigenen, und die Verbindung zu ihren echten Eltern wurde »vergessen«. »Also ist Hokanu der adoptierte Sohn Kamatsus und tatsächlich ein blutsverwandter Neffe.« Da Hokanus Mutter sich nach dem Weggang ihres Mannes dem Dienst im Tempel Indiris verschrieben hatte, waren Kamatsu und Kasumi die einzigen Familienmitglieder, die er seit seinem zehnten Lebensjahr noch kannte.
»Wißt Ihr, ob Fumita seinen Sohn jemals besucht?« wollte sie von ihrem Supai wissen.
Arakasi zuckte mit den Schultern. »Das Haus von Kamatsu ist sehr gut bewacht. Wer kann das wissen?«
Mara begriff, daß sie dem Fortbestand ihres Hauses mehr diente, wenn sie das Interesse Hokanus etwas kultivierte; gleichzeitig war sie neugierig darauf, Informationen von ihm darüber zu erhalten, ob Fumitas Hingabe an die Versammlung vielleicht einen schwachen Punkt hatte. Möglicherweise hatte er die Angelegenheiten der Familie nicht ganz beiseite geschoben und seinen Einfluß genutzt, um den Shinzawai und dem Clan der Kanazawai Hilfe von den Magiern zukommen zu lassen.
Doch jeder Gedanke an Hokanu führte wieder zurück zu der Dornenhecke aus Schmerzen, die Kevin betraf. Mara seufzte. In einem seltenen Augenblick der Entrücktheit sah sie den fallenden Wassertropfen zu, dann zwang sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf wichtigere Dinge. Wenn sie zuließ, daß sie sich zu sehr mit ihren persönlichen Problemen beschäftigte, würden die Acoma vom nächsten Schritt im Großen Spiel hinweggefegt werden.
Vier Tage noch, dann würde das Licht des Himmels zu seiner Reise flußabwärts aufbrechen. Wenn es ihm gelang, Frieden mit dem Königreich der Inseln zu schließen, würden alle Häuser in gleichem Maße benachteiligt. Doch wenn der Kaiser versagte, mußte ein neuer Kriegsherr gesucht werden. Sonst würde Ichindar, einundneunzigmal Kaiser von Tsuranuanni, eine offene Revolte im Rat auslösen. Es war zwar schon Jahrhunderte her, doch es hatte bereits Kaisermord im Kaiserreich gegeben.
Etwas später klatschte Mara in die Hände, um einen Läufer zu sich zu rufen. »Sag Jican, daß wir heute nachmittag unser Quartier in die Wohnung im Kaiserlichen Palast verlegen.«
»Wie Ihr wünscht, Lady.« Der Sklave verneigte sich und raste mit seinem Auftrag davon, als gäbe es nichts Schöneres, als laufen zu dürfen.
Jican nahm den Befehl wie das Allheilmittel nach einer Reihe enttäuschender, langweiliger Tage auf, an denen er lediglich hatte Schadensbegrenzung betreiben können. Kevin mußte die Kisten nach draußen auf die wartenden Needra-Karren hieven. Auf den Treppenstufen und –absätzen standen Kisten mit Jiga-Vögeln neben Taschen voller Pergamente und den Geld-Truhen der Lady. Zumindest war die Zahl der Krieger geschrumpft. Die Hälfte der Kompanie war in eine öffentliche Unterkunft in der Stadt verlegt worden. Von den anderen würden fünfzig als Eskorte die Lady durch die Stadt geleiten, und zwanzig von ihnen würden danach wieder zurückkehren, um das Stadthaus zu bewachen.
So weit wie möglich von dem Durcheinander entfernt, saß Mara im Innenhof mit einer Feder in der Hand und schrieb eine Nachricht an Keyoke und Nacoya. Um sicherzugehen, daß nicht andere Häuser in ihren Angelegenheiten herumschnüffelten, betraute sie Lujan mit der Aufgabe, ihr Sendschreiben dem schnellsten Gildenboten zu bringen. »Fügt diese mündliche Nachricht meinem Bericht hinzu«, wies sie Lujan an. »Ich möchte, daß der Hauptteil unserer Armee jeden Augenblick marschbereit ist und so nah an Kentosani, wie Keyoke es für weise hält. Wir müssen auf alles vorbereitet sein.«
Lujan, gekleidet in die einfache Rüstung, die er auf dem Feld bevorzugte, nahm das versiegelte Pergament entgegen. »Bereiten wir uns auf einen Krieg vor, Mylady?«
»Immer«, erwiderte Mara.
Lujan verneigte sich und verließ sie ohne eine seiner sonst üblichen humorvollen Bemerkungen. Mara legte die Feder beiseite und rieb die müden Finger. Sie atmete tief ein, hielt die Luft einen Augenblick an und atmete dann wieder aus, wie sie es im Tempel gelernt hatte. Kevin hatte sie dazu gebracht, ihr Volk mit anderen Augen zu sehen; sie wußte, daß hinter den Traditionen Gier und Ehrgeiz lauerten und die Ehre zu einer Rechtfertigung für endlosen Haß und Blutvergießen geworden war. Möglicherweise wollte der junge Kaiser sein Volk ändern, doch das Große Spiel ließ sich nicht mit einem einzigen Kaiserlichen Edikt aus der Welt schaffen. Egal, was sie fühlte, egal, wie müde sie wurde, egal,
Weitere Kostenlose Bücher