Zeit des Aufbruchs
gesonnen. Als Clanlord des Clans Xacala hatte Lord Chipino in der ersten Reihe des Kaisers gestanden; sein ältester Sohn Dezilo hatte die Xacatecas als dritte der Fünf Großen Familien vertreten. Beide waren verloren, und zurück blieben Lady Isashani und eine Schar von Nachkommen, deren Ältester noch viel zu jung und unerfahren für den Mantel des Herrschers war – Maras stärkster Verbündeter war jetzt gefährlich geschwächt. Mara hatte das Gefühl, als würde eine kühle Brise an ihrem Rücken entlangstreichen, als sie begriff, daß sie sich zu sehr auf den Schutz verlassen hatte, der auf Ayakis schwachen Blutsbanden mit den Anasati beruhte.
Wie Jagunas, die an den Leichen schnüffelten, um zu entscheiden, um welche Teile sie kämpfen wollen, versammelten sich die Lords erst mit den Mitgliedern ihres Clans und sprachen dann mit Verbündeten – überwiegend entlang der Parteilinie.
Die Acoma zählten eigentlich zu der kleineren Partei des Jadeauges, doch die Verbindung war mit dem plötzlichen Ende von Lord Sezus Herrschaft eingeschlafen. Mara hatte für Parteipolitik nicht viel übrig; sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, ihr Haus vor der Auslöschung zu bewahren. Doch jetzt, da das gesamte Kaiserreich in Aufruhr war, konnten keine Bande zu schwach, zu klein sein.
Mara bahnte sich ihren Weg am Lord der Inrodaka vorbei, der sich zusammen mit dem fetten zweiten Sohn des Lords der
Ekamchi und einem Cousin des Lords der Kehotara im Flüsterton beriet. Sie warfen ihr einen kalten Blick zu. Mara sah hinter ihnen zwei andere Mitglieder des Jadeauges, und so trat sie zu ihnen und begann eine Unterhaltung, die erst einmal in einer langen Liste von Beileidsbekundungen bestand. Die Toten und jenseits des Spalts Gestrandeten schienen die Edlen des Kaiserreiches selbst in ihrer Abwesenheit noch zu verfolgen. Doch das Leben in Tsuranuanni ging auch nach Niederlagen weiter. Überall in der Halle forschten die Mitglieder des Hohen Rates hinter der Fassade freundlicher Unterhaltung nach Absichten und Neigungen, und die ganze Zeit spielten sie dabei einmal mehr das Große Spiel.
Blitze erhellten den Himmel und zuckten silbrigweiß über das große Haus der Minwanabi. Incomo saß an seinem Arbeitstisch, einen Stift in der Hand und frische Tinte neben sich; er ging die Dokumente durch, die vor ihm aufgestapelt waren. Er ignorierte das laute Geräusch der heftigen Regentropfen. Er war noch nie besonders schnell im Denken gewesen, und jetzt wollten Entsetzen und Ungläubigkeit nicht von ihm weichen. Die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Verrat am Kaiser wirkten immer noch wie die beklemmenden Nachwirkungen eines Alptraumes. Es bestand kein Zweifel, daß Desio tot war. Drei Zeugen hatten gesehen, wie er mit Pfeilen in Hals und Brust fiel – sein Cousin Jeshurado lag bereits tot zu seinen Füßen. Kein Freund oder Gefolgsmann war nahe genug gewesen, um den Körper des Lords aus dem Chaos zu retten, bevor der magische Spalt sich schloß und Kelewan für immer von Midkemia trennte.
Incomo preßte die trockenen Hände gegen die Schläfen und atmete die feuchte Luft tief ein. Desio von den Minwanabi ruhte bei seinen Ahnen, sofern der Geist eines Menschen den unbekannten Spalt zwischen den Welten überqueren konnte. Im Heiligen Hain der Minwanabi hatte ein eilig herbeigerufener Priester die Riten gesprochen, und Läufer waren bereits mit den Neuigkeiten unterwegs. Jetzt blieb ihm nur noch das Warten auf die Ankunft des neuen Lords von dem Außenposten auf den Inseln im Westen.
In diesem Augenblick wurde der Laden hinter dem Ersten Berater zurückgeschoben. Warme, feuchte Luft drang in den Raum, wirbelte die Pergamente auf und verteilte ein paar Regentropfen auf dem Boden. »Ich hatte doch Befehl gegeben, mich nicht zu stören«, zischte Incomo.
Eine trockene Stimme mit einer ganz eigenen Note erklang: »Dann bitte ich um Entschuldigung für die Unterbrechung, Erster Berater. Doch die Zeit verrinnt, und es gibt viel zu tun.«
Incomo fuhr zusammen und drehte sich um. Im Licht eines herabzuckenden Blitzes sah er einen Krieger durch die Tür treten. Wasser strömte von seiner Rüstung, während der Mann beinahe lautlos in den hellen Schein der einzigen Lampe trat. Er nahm den Helm ab. Schatten lagen um seine honigbraunen Augen, und nasses Haar klebte am Nacken.
Incomo ließ die Feder sinken und verbeugte sich von der Taille an in vollster Ehrerbietung. »Tasaio!«
Tasaio blickte Incomo einen stummen Augenblick in die
Weitere Kostenlose Bücher