Zeit des Aufbruchs
ihre Kleider zu ordnen. »Tiger?«
»Ein Tier, das eurem Sarcat ähnelt; aber es ist vierbeinig, doppelt so groß und viel gefährlicher.« Kevin nahm seine Position hinter ihrem Stuhl ein, indem er sich in die kleine Lücke zwischen den Kriegern preßte, die normalerweise auf den unteren Absätzen gewartet hätten. Mara ließ ihre Augen prüfend durch die Halle wandern; sie wirkte düsterer, und auch die Geräusche hallten auf merkwürdige Weise. Einige Stühle waren leer, und statt feiner Seide und Juwelen überwog bei den anwesenden Lords der Glanz von Rüstungen und Schwertscheiden. Je verschlungener die Intrigen wurden, desto verwickelter waren auch die Gespräche; die Worte enthielten mehrere Bedeutungen, und Blicke zwischen einzelnen Lords wurden vorsichtig abgeschätzt. Jeder leere Platz kündete von einem toten oder in den Rückzug getriebenen Ratsmitglied. Die übriggebliebenen Gruppen waren fest entschlossen, und in einigen der versammelten Gruppen knisterte es förmlich vor unausgesprochener Aggression.
Ein Läufer brachte Mara eine Nachricht. Sie schlitzte das Siegel auf und betrachtete die beiden Wachssiegel darin; dann bedeutete sie dem Jungen zu warten, während sie las. Der Lord der Zanwai trat zusammen mit einem Dutzend Soldaten ein. Er schien sich von den Schrecken der letzten Nacht erholt zu haben, und als er gezwungen war, einen Umweg zu machen, weil ein Gang versperrt war, wählte er einen Weg, der nahe an Mara vorbeiführte. Er schenkte der Lady der Acoma ein Lächeln und nickte ihr leicht zu, als er vorbeiging.
Sie erwiderte seinen stillen Gruß, schrieb dann eine Antwort auf die Nachricht in ihren Händen und schickte den Läufer zu einer anderen Galerie. »Wir haben zwei weitere Stimmen gewonnen, als Dank für Arakasis Warnung«, meinte sie zu Lujan.
Der Morgen zog sich hin. Mara unterhielt sich mit einem Dutzend Lords über scheinbar harmlose Dinge. Obwohl Kevin versuchte, dem wirklichen Thema auf die Spur zu kommen, konnte er nicht erkennen, ob es bei den Gesprächen um Drohungen oder Bündnisangebote ging. Mehr und mehr wurden seine Augen zur unteren Galerie hingezogen, wo ein Lord nach dem anderen Tasaio die Ehre erwies. Kevin bemerkte, daß meistens die Besucher sprachen, während Tasaio größtenteils schwieg. Wenn er dann antwortete, waren seine Worte kurz und knapp, wie er an den aufblitzenden weißen Zähnen erkennen konnte. Die Krieger zu seinen Füßen zuckten unterdessen mit keinem Muskel — sie verharrten in einer unmenschlichen Reglosigkeit, als wären sie Statuen.
»Seine Gefolgschaft fürchtet ihn«, flüsterte Kevin in einem kleinen Moment der Vertraulichkeit zu Lujan.
Der Kommandeur der Acoma antwortete mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken. »Aus gutem Grund«, murmelte er.
»Tasaio versteht sich aufs Töten, und er schärft diese Fähigkeit durch häufiges Üben.«
Kevin spürte einen kalten Schauer über seine Haut jagen, als er die Figur auf dem orange-schwarzen Stuhl betrachtete. Wenn das Spiel des Rates rücksichtslos war, saß dort der unbarmherzigste Spieler von allen.
Zum Essen und zu einer Unterredung mit ihren Vertrauten kehrte Mara in ihr Quartier zurück. Arakasi hielt den Arm in einer Schlinge und hatte ihren Schreibtisch in Beschlag genommen. Nach dem Durcheinander an Zetteln und Federn zu schließen war er sehr beschäftigt gewesen; er arbeitete sogar weiter, als Mara ihrem Diener befahl, eine leichte Mahlzeit aufzutischen. Kevin sah dem Supai zu, der in der Zwischenzeit drei weitere Schreiben anfertigte – mit dem geschienten Unterarm hielt er das Pergament fest, während er mit der linken Hand gleichmäßig schrieb.
»Ihr seid doch Rechtshänder«, meinte der Midkemier mit leichtem Vorwurf in der Stimme; er besaß den Blick eines Schwertkämpfers, und zu erkennen, welche Hand ein Mann benutzte, war wie ein tiefverwurzelter Reflex. »Ich hätte es schwören können.«
Arakasi blickte nicht auf. »Heute geht das nicht«, sagte er mit einem Hauch von Ironie.
Kevin sah jetzt genauer hin; er versuchte zu erkennen, ob die Handschrift darunter litt, und bemerkte überrascht, daß er die Schrift wie eine Kunst einsetzte – ständig änderte sie sich. Eine der Nachrichten hatte ausgesehen, als wäre sie von einer starken männlichen Hand geschrieben; eine andere schien weiblich und zart, wieder eine andere erweckte den Eindruck, als könnte der Autor weder richtig lesen noch buchstabieren und kämpfte um die Reste spärlicher Bildung.
»Seid Ihr
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