Zeit des Aufbruchs
fünftausend Soldaten, die er mitbringt, schaffen das.« Er blickte Mara an. »Die großen Lords verfolgen ihre Sache hartnäckig. Auch die Oberpriester der Zwanzig Orden trafen sich letzte Nacht und erklärten, daß der Verrat auf Midkemia ein Beweis für den Zorn der Götter ist. Die tsuranische Tradition wurde gebrochen, sagen sie, und das Licht des Himmels schweifte von geistigen zu weltlichen Sorgen. Wenn Ichindar die Unterstützung der Tempel besitzen würde, könnte er immer noch herrschen, doch wie die Dinge liegen, muß er nachgeben und dem Rat gestatten, einen neuen Kriegsherrn zu ernennen.«
»Dann muß die Angelegenheit bis morgen mittag erledigt sein«, bemerkte Mara. Die Gründe waren nur zu offensichtlich. Es war genug Unglück geschehen, seit der Kaiser seine Hände im Spiel hatte. Die Lords des Hohen Rates hatten deutlich gemacht, daß sie sich nicht einfach ersetzen lassen würden. Ein neuer Kriegsherr würde Ichindar bei seiner Rückkehr in den Palast begrüßen.
»Heute nacht«, sagte Arakasi ruhig, »wird sich dieses Gebäude in ein Schlachtfeld verwandeln.«
Kevin gähnte. »Können wir vorher noch etwas schlafen?«
»Nur heute morgen«, erlaubte Mara. »Wir müssen am Nachmittag im Rat sein. Die heutigen Gespräche werden zum großen Teil darüber entscheiden, wer heute nacht überlebt. Und morgen wird, wer immer die Nacht überstanden hat, den neuen Kriegsherrn wählen.«
Als Arakasi von den Kissen aufstehen wollte, winkte Mara ihn zurück. »Nein«, sagte sie mit fester Stimme. »Ihr werdet hierbleiben und Euch den restlichen Tag ausruhen.«
Der Supai sah sie nur an, doch Mara antwortete, als hätte er laut protestiert. »Nein«, wiederholte sie. »Dies ist ein Befehl. Nur ein Narr würde annehmen, daß die Minwanabi heute nicht auftauchen. Ihr habt genug getan und noch mehr, und Kevin hat gestern nacht recht gehabt. Ob es eine Bedrohung gegen die Acoma gibt oder nicht, ich werde diesen Rat nicht verlassen. Wir sind auf einen Angriff so gut vorbereitet, wie es nur möglich ist.
Wenn unsere Bemühungen nicht ausreichen, steht Ayaki zu Hause unter sicherem Schutz.«
Arakasi neigte den mit weißen Bandagen umwickelten Kopf. Er mußte sehr müde sein, denn als Kevin das nächste Mal hinschaute, war der nervöse Verstand des Mannes zur Ruhe gekommen. Maras Supai lag mit locker ausgestreckten Gliedern da und schlief tief und fest.
Unruhe erfüllte die große Versammlungshalle. Mara war nicht die einzige Herrscherin, die mehr als nur ihre traditionell erlaubte Ehrengarde bei sich hatte – die Gänge zwischen den Sitzen und offenen Plätzen waren voller bewaffneter Krieger, und der Raum wirkte mehr wie ein Truppenübungsplatz als wie ein Ort, an dem diskutiert wurde. Jeder Lord hielt seine Soldaten dicht bei sich; sie saßen zu seinen Füßen auf dem Boden oder standen am Geländer bei den Treppen. Jeder, der von einem Ort zu einem anderen wollte, mußte anstrengende Wege auf sich nehmen und häufig über Krieger hinwegsteigen, die sich nur mit einem leichten Nicken für die Unannehmlichkeiten entschuldigen konnten.
Als Mara sich ihren Weg zwischen den Gefolgschaften zweier Rivalen hindurch bahnte, grunzte Kevin: »Wenn irgendein Idiot hier ein Schwert zieht, sterben Hunderte, bevor auch nur ein einziger die Möglichkeit hatte, nach dem Grund zu fragen.«
Mara nickte. »Da«, meinte sie leise.
Endlich war der Platz besetzt, der auf der untersten Galerie lag, genau gegenüber dem Podest des Kriegsherrn. Krieger im Orange und Schwarz der Minwanabi hatten sich keilförmig aufgebaut, und in ihrer Mitte saß Tasaio in einer Rüstung, die kaum schmuckvoller war als die eines Offiziers. Wenn Kevin die harmlose Erscheinung des verblichenen Lord Desio eher enttäuscht hatte, konnte er dasselbe nicht von dessen Cousin sagen. Tasaio saß mit einer entspannten und abwartenden Gelassenheit auf seinem Stuhl, die dennoch selbst aus der Entfernung die Aufmerksamkeit auf sich zog. Sein Anblick erinnerte Kevin sofort an einen Tiger. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, und etwas wie Erkennen durchzuckte beide. Tasaios Miene unter dem bogenförmigen Rand des Helms blieb unverändert, doch es gab keinen Zweifel, daß beide Männer der Schock des Wissens getroffen hatte.
Kevin wandte seinen Blick ab und beugte sich leicht zu seiner Lady hinunter. »Der Tiger weiß, daß wir vor seiner Höhle warten.«
Mara erreichte ihren Platz und setzte sich; allem Anschein nach war sie damit beschäftigt,
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