Zeit des Aufbruchs
Vater, war Clanlord der Kanazawai, als ein Lord der Keda das letzte Mal den Thron des Kriegsherrn eingenommen hat. Und niemand hat jemals gehört, daß ein Lord der Shinzawai ein Versprechen gebrochen hätte. Ihre Ehre ist über jeden Zweifel erhaben.«
Mara wußte das alles. Während die Zofen das Gewand zubanden, betrachtete sie ihre frühere Amme mit unterdrückter Verzweiflung. »Doch im Augenblick ist ihre Position sehr fragwürdig.«
»Es herrschen einige Vorbehalte seit den fehlgeschlagenen Friedensverhandlungen und der Nacht der Blutigen Schwerter«, räumte Nacoya ein. »Viele trauernde Familien behaupten, daß es niemals zu solch einem Morden gekommen wäre, wenn die Partei des Blauen Rades und besonders die Shinzawai nicht im Zentrum des Komplotts gestanden hätten.«
Doch Mara mußte nicht daran erinnert werden, daß nur deshalb niemand Vergeltung von den Shinzawai gefordert hatte, weil so viele angeschlagen und alle sehr vorsichtig waren. Ihre Familie durch eine Heirat an sie zu binden würde die Liste ihrer Feinde um einige gefährliche Namen ergänzen.
Nein, entschied Mara, als Nacoyas offensichtliche Logik sie aus den verworrenen Gefühlen herausführte und sip wieder zu klaren Gedanken fähig war. Die Rolle des Herzens war etwas ganz anderes. Hokanu war sehr attraktiv; ihre tiefe Beziehung zu Kevin erhöhte die schmerzvolle Verwirrung, doch sie hatte sich niemals in der falschen Hoffnung gewiegt, daß sie einen Ehemann durch einen Sklaven ersetzen könnte. Ihr Aufruhr hing mit einer anderen Wahrheit zusammen: daß sie die Kontrolle über ihr Leben nur ungern abgeben wollte, an welchen Herrscher auch immer. Buntokapis kurze Amtszeit hatte genügend unangenehme Erinnerungen hinterlassen, doch das war nicht alles.
Mara seufzte und starrte durch den offenen Laden in den Garten. Der Tag zog sich hin, und lange Schatten warfen ein Streifenmuster über den Pfad zwischen den Akasi-Blumen. Das grüne, fruchtbare Land, das einst ihrem Vater und ihren Vorfahren gehört hatte, hatte sich gut entwickelt in den Jahren, seit sie als junges, unerfahrenes Mädchen das Erbe angetreten hatte. Im Licht ihrer Erfolge stellte sich Mara einer tieferen Wahrheit, auch wenn sie weniger entwickelt war als jeder andere Konflikt ihres Lebens, vergangen oder gegenwärtig. Nach einer langen Minute meinte sie zu Nacoya: »Ich danke dir für deinen Rat. Du darfst jetzt gehen.«
Mara sinnierte, während die alte Frau sich verbeugte und ging. So viele Ereignisse in ihrem Leben hingen direkt damit zusammen, daß sie Herrscherin war. Doch diese Pflichten, die furchteinflößende Verantwortung, selbst die auf dem Weg liegenden Gefahren – diese Dinge waren keine solch fürchterliche Bürde, wie es ihr an dem Tag, da sie Lashimas Tempel verlassen hatte, vorgekommen war. Seit sie den Mantel der Acoma trug, hatte sie begonnen, Gefallen an der Macht zu gewinnen, und sie genoß es, ihren Verstand im Großen Spiel zu messen. Diese Dinge gaben ihr die Freiheit, neue Ideen zu verfolgen. Wie wäre es, wenn sie die Entscheidungen anderen überließ? Konnte sie wie andere Ladies mit dem Sammeln von Li-Vögeln, dem Ausstatten von Wohnzimmern oder dem Stiften fremder Ehen zufrieden sein? Frauen besaßen ihre eigene Macht, manchmal mit beeindruckender Wirkung. Konnte sie sein wie Isashani von den Xacatecas und genausoviel Befriedigung aus dem Spiel hinter dem Vorhang ziehen wie jetzt von ihrem Platz uneingeschränkter Herrschaft?
Mara seufzte erneut.
In diesem Augenblick fiel ein Schatten über den Laden, der zum Garten führte. »Ich weiß, was du denkst.« Eine vertraute Stimme drang an ihr Ohr.
Mara blickte auf und sah Kevin, der sie mit einem ironischen Grinsen betrachtete.
Wie immer gab er seine Meinung zum besten, ohne darauf zu
warten, daß sie ihn darum bat. »Du fragst dich, wie es wäre, einmal eine Pause zu machen und diesen jungen Krieger der Shinzawai die Dinge in die Hand nehmen zu lassen.«
Mara mußte lachen. »Du … Monster!«
Kevin warf sich neben sie, schüttelte seine rotgoldenen Haare, die dringend geschnitten werden mußten, und verharrte, seine Lippen nur wenige Zentimeter von ihren entfernt. «Habe ich recht?«
Sie küßte ihn. Hokanus Charme konnte sie widerstehen, aber dieser Mann war wie Gift in ihrem Blut. »Ja, verdammt.«
»Ich werde dir genau erklären, wie es wäre. Langweilig.« Kevin machte eine ausladende Handbewegung, die damit endete, daß er sie umarmte. Er küßte sie. »Du liebst das
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