Zeit des Aufbruchs
»Das ist wahr.«
In die schmerzliche Stille hinein sagte Mara: »Ich wünsche mir sehr, mit einer solchen Person ein inoffizielles Gespräch führen zu können. Wenn Ihr ein Treffen herbeiführen könntet, würde ich mich tief in Eurer Schuld fühlen.«
Hokanu kniff leicht die Augen zusammen, doch er stellte keine Fragen über Maras Motive. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Dann stand er abrupt auf, verbeugte sich förmlich und verabschiedete sich mit einigen höflichen Floskeln. Auch Mara erhob sich; sie war ein wenig traurig, daß die vertrauliche Stimmung zwischen ihnen zerbrochen war. Sein Charme wirkte jetzt oberflächlich, und sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte nicht hindurchdringen. Als er gegangen war, saß sie im Licht der Papierlaternen und drehte das Weinglas unablässig in den Händen. Sie konnte sich an seine letzten Worte nicht erinnern, nur daran, daß er seine Gefühle viel zu gut vor ihr verborgen hatte.
Die Kissen auf der anderen Seite des Tisches schienen mehr als nur leer und die Nacht mehr als nur dunkel.
Nach einiger Zeit kam Nacoya, wie Mara erwartet hatte. Die Instinkte der alten Frau waren unfehlbar. Nach einem Blick auf ihre Mistress setzte sie sich neben Mara. »Tochter meines Herzens, Ihr seht beunruhigt aus.«
Mara lehnte sich gegen die alte Frau und ließ sich von ihr in den Arm nehmen, als wäre sie wieder ein kleines Mädchen. »Nacoya, ich habe getan, was ich tun mußte: Ich habe Hokanus Angebot abgelehnt. Doch ich empfinde eine Trauer, die keine konkrete Ursache hat. Ich hätte niemals gedacht, daß ich Kevin so sehr lieben könnte, wie ich es tue, und doch macht es mich traurig, Hokanus Angebot zurückzuweisen.«
Nacoya hob eine Hand und strich leicht über Maras Wange, wie sie es in den schmerzvollen Jahren ihres Erwachsenwerdens getan hatte. »Tochter, das Herz kann manchmal mehr als einen umfassen. Jeder dieser Männer hat seinen Platz dann.«
Mara seufzte; sie gönnte sich einen Augenblick des Trostes in den Armen der früheren Amme. Dann lächelte sie reumütig. »Du hast mich immer davor gewarnt, daß die Liebe ein Gewirr aus Ärger ist. Bis heute habe ich niemals verstanden, wie sehr sie es ist – und wie dornenreich dazu.«
Beim Klang des Gongs versteifte sich Mara. Kevin hatte gerade begonnen, mit seiner Hand langsam ihren Rücken hinunterzu—
wandern, doch die warme Haut entglitt seinen Fingern. Plötzlich fand Kevin sich allein zwischen den unordentlichen Bettlaken. Zu spät begriff er, daß er niemals zuvor den Klang gehört hatte, der sie aufgeschreckt hatte. Er blickte von der Schlafmatte auf und fragte: »Was ist los?«
Seine schläfrige Frage stand im Gegensatz zu der hektischen Aktivität, die sich entfaltete, als die Tür zu Maras Gemächern geöffnet wurde und zwei Zofen mit Bürsten und Haarnadeln hereinkamen. Andere folgten, rissen den Schrank auf und hatten nach kurzer Zeit die Lady mit offiziellen Roben überhäuft. Dienerinnen und Zofen machten sich eiligst daran, die Haare zu kämmen, die vom Bett noch ganz zerzaust waren.
Kevin runzelte die Stirn. Unsanft aus einem angenehmen Zeitvertreib gerissen, erkannte er, daß seine Lady mit keinem Wort eine solche unzeitgemäße Störung angeordnet hatte. »Was geht hier vor?« wollte er noch einmal wissen, dieses Mal laut genug, daß es bemerkt wurde.
»Ein Erhabener kommt!« sagte Mara ungeduldig; dann folgten Anweisungen an ihre Zofen, welche Juwelen sie zu den offiziellen Gewändern tragen wollte. »Ich werde zu diesem Anlaß die Eisenkette tragen und das Jade-Diadem.«
»Zu dieser Stunde?« fragte Kevin, der sich jetzt ebenfalls langsam erhob. Er griff nach seinem grauen Gewand und schlang es um seinen Körper.
Mara ließ aus der Mitte des Gewirrs einen verzweifelten Seufzer hören. »An den meisten Tagen wäre ich um diese Zeit schon eine Stunde auf den Beinen.«
»Tja«, sagte Kevin, eindeutig der Schuldige. Er hatte sein möglichstes getan, um sie aufzuhalten, und zunächst hatte sie seine Bemühungen bereitwillig erwidert. »Vergebt mir die Unannehmlichkeit.« Sein Ton war locker, doch er war unübersehbar verwirrt über ihre plötzliche Hektik.
Mara ließ die Zofen weiter an den Haarnadeln und ihrer Schärpe hantieren. »Die Erhabenen haben keine Zeit für Launen.« Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, doch bei einem zweiten Gongschlag verschwand das beginnende Lächeln sofort wieder. »Genug! Der Erhabene ist hier!«
Die Zofen traten zurück und verbeugten sich,
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