Zeit des Aufbruchs
»Ihr seid eine Lady mit einem Gefühl für klare Ideen. Wußtet Ihr, daß ich Eure Abneigung gegenüber Vogelkäfigen teile?«
Vollkommen überrascht, lachte Mara. »Woher wußtet Ihr das?«
Hokanu drehte das Weinglas in der Hand. »Euer Gesicht, als Ihr Lady Isashanis Wohnzimmer im Kaiserlichen Palast beschrieben habt. Außerdem hat Jican einmal einen Bewerber erwähnt, der Euch einen Li-Vogel schickte. Er sagte, es hätte zwei Wochen gedauert, bevor Ihr ihn freiließt.«
Mara fühlte sich unbeabsichtigt an die tiefe Wut und Enttäuschung im Zusammenhang mit Kevins Dilemma erinnert und bemühte sich, nicht die Stirn zu runzeln. »Ihr seid sehr aufmerksam.«
»Etwas, das ich gesagt habe, beunruhigt Euch.« Hokanu stellte das Glas ab. Er beugte sich leicht nach vorn und legte eine schmale Hand auf den Tisch. »Ich würde gerne wissen, was es ist.«
Mara machte eine Handbewegung, die von Erschöpfung zeugte. »Nur eine Idee, die ein Barbar vorgebracht hat.«
»Ihre Kultur ist voller faszinierender Ideen«, sagte Hokanu. Seine dunklen Augen ruhten noch immer auf ihr. »Manchmal lassen sie uns wie dumme, rückständige Kinder aussehen – so tief in unserer Art zu leben verwurzelt, daß wir fast schon blind für alles andere geworden sind.«
»Ihr habt sie studiert?« fragte Mara neugierig. Zu spät dachte sie daran, ihr Interesse hinter einem ausdruckslosen Gesicht zu verbergen.
Hokanu schien es nicht zu stören, denn das Thema interessierte ihn ebenfalls. »Die mißlungenen Friedensbemühungen unseres Kaisers haben größere Bedeutung, als unser Volk begreift.« Dann schien er zu bedauern, daß die Erwähnung politischer Themen den Augenblick ihrer Harmonie störte, und er wischte die Angelegenheit beiseite. »Vergebt mir. Ich wollte Euch nicht an schwere Zeiten erinnern. Mein Vater hat mir erzählt, daß Ihr eine Nacht im Kaiserlichen Palast belagert wurdet. Er sagte, es gereiche den Acoma zur Ehe, daß Ihr überlebt habt.« Bevor Mara die Bemerkung beiseite wischen konnte, sah er sie auf eine Weise direkt an, die zermürbend an ihrer Beherrschung zerrte. Er sprach weiter: »Ich würde gerne aus Eurem eigenen Mund hören, was geschehen ist.«
Mara bemerkte, wie er seine Hand auf der Tischplatte etwas bewegte; mit jener unheimlichen Wahrnehmung, die sie mit ihm zu teilen schien, wußte sie, daß er sich danach sehnte, sie in die Arme zu schließen. Ein Beben durchfuhr sie, als sie sich vorstellte, wie fest sich sein warmer, muskulöser Körper anfühlen würde. Sie fand ihn mehr als attraktiv – er verstand sie ohne die kulturellen Barrieren oder die rauhen, emotionalen Kanten, die ihre Beziehung zu Kevin würzten. Während der Barbar auf ihre dunkle tsuranische Natur einging und ihr mit seinem Humor Entspannung brachte, war der Mann auf der anderen Seite des Tisches jemand, der sie einfach verstand, und sein unausgesprochenes Versprechen, sie zu schützen, wurde ein mächtiges Band.
Wieder erkannte Mara, daß sie längere Zeit geschwiegen hatte und irgendeine Art von Antwort erforderlich war, wenn sie nicht
wollte, daß die immer stärker aufwallenden Gefühle in Leidenschaft mündeten. »Ich erinnere mich an viele zerbrochene Vogelkäfige«, sagte sie in dem gezwungenen Versuch, locker zu wirken. »Lord Hoppara vereinigte seine Truppen mit meinen, und die Angreifer fanden in seiner Wohnung keine Opfer zum Aufschlitzen. Sie ließen ihre Wut an Isashams Li-Vögeln und einem guten Teil der lilafarbenen Bezüge aus. Am nächsten Tag rannten die Vogelfänger sich die Beine aus dem Leib, um die Flüchtlinge wieder einzufangen.«
Hokanu war ein wenig enttäuscht, daß sie von der persönlichen Seite der Angelegenheit abgewichen war, und wölbte kaum merklich in leisem Groll die Brauen. Seine Augen wirkten leicht exotisch, und der Ausdruck verlieh ihm etwas Gehetztes. »Lady Mara«, sagte er weich, und sein Tonfall überfiel sie wie ein eiskalter Schauer in der Hitze. »Ich bin möglicherweise etwas kühn, wenn ich mich in dieser Weise präsentiere, doch die Verhältnisse im Kaiserreich haben Änderungen erzwungen, die noch wenige Monate zuvor niemand von uns hätte ahnen können.«
Mara setzte das Weinglas ab, um das leichte Zittern ihrer Hand zu verbergen. Sie wußte, ja sie wußte ganz genau, worauf er hinauswollte, und die Gefühle, die in ihrem Innern tobten, waren zu verwirrend, als daß sie sie hätte auseinanderhalten können. »Was meint Ihr?« fragte sie lahm.
Hokanu erkannte ihre Verwirrung so
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