Zeit des Lavendels (German Edition)
Vielleicht konnte er ihn bei dieser Seite seines Charakters packen. Der Papst lag im Sterben, hörte man. Jedenfalls war Paul III. schwer krank. Es standen in Rom also große Veränderungen bevor. Da gab es doch sicher einiges, was ein wendiger Mann vor Ort für einen ehrgeizigen Domherren tun könnte, der es satt hatte, Domherr in einem Münster zu bleiben, das all seiner Schätze beraubt war. Wenn er sein Anliegen richtig vorbrachte, würde auch Murgel die Vorteile einer solchen Allianz schnell begreifen. Allerdings musste er noch das Problem Dorothea Offenburg lösen. Er konnte sie unmöglich mit nach Italien nehmen. Sie wäre ihm nur im Weg bei seinem neuen Leben.
Er blickte hinüber zu seiner Frau. Ihr Gesicht war bleich. Der schnelle Ritt machte ihr zu schaffen, das sah er. Sie war noch nie eine besonders gute Reiterin gewesen. Ihr zierlicher Zelter, eigentlich viel zu edel für die Gattin eines Tuchhändlers, war ebenfalls bis zur Brust voller Schlammspritzer.
Dorothea zog mit der einen Hand fröstelnd ihren durchweichten, grob gesponnenen Umhang zusammen und schob die Kapuze tiefer ins Gesicht. Sie spürte den Blick ihres Mannes auf sich ruhen und lächelte ihm tapfer zu. Doch sie fror offensichtlich erbärmlich in ihrer viel zu leichten Kleidung. Selbst für Ende Oktober war es schon empfindlich kalt. Der Atem der beiden Pferde bildete kleine Nebel in der kühlen Luft. Aber Dorothea klagte nicht.
Das musste er ihr lassen: Sie war keine Frau, die jammerte. Obwohl die reiche Dorothea Offenburg es nicht gewöhnt war, an Tagen wie diesem über schlammige, löchrige Wege zu reiten. Wenn, dann war sie früher höchstens in einer bequemen Kutsche gereist, begleitet von Lakaien, eingepackt in wärmende Decken und mit einem Kohlenbecken im Inneren der Kutsche, dessen Glut für Wärme sorgte. Doch sie hatten keine Zeit, eine Kutsche zu nehmen. Die Herbststürme fegten schon übers Land, der Winter nahte. Nicht mehr lange, und der erste Schneefall würde einsetzen. Die alte Handelsroute nach Italien war zu keiner Jahreszeit ein Zuckerschlecken. Wenn der Winter hereinbrach, Stürme die Schneeflocken wie Geschosse über die schmalen Trampelpfade trieben, konnte die Strecke schnell zu einer tödlichen Falle werden. Es war schon mancher am Wegesrand erfroren. Sie mussten also so schnell wie möglich zu Murgel nach Konstanz und dann weiter nach Süden.
Thomas Leimer blinzelte seiner Frau mit einem Lächeln zu, das er für ermutigend hielt. Sein Gesicht verriet nichts von seinen wirklichen Gedanken. Fieberhaft überlegte er weiter, wie er sie loswerden konnte. Vielleicht würde sich ja Murgel ihrer annehmen. Er betrachtete sie prüfend. Nein, dafür war sie wohl nicht hübsch genug. Der herbe Mund, die hohe Stirn, sie wirkte eher wie eine selbstbewusste Adelige, nicht wie eine weiche, anschmiegsame Frau. Auch wenn der äußere Eindruck trog. Aber sie hatte einfach nicht jene Ausstrahlung von Hilflosigkeit und Sinnlichkeit, die Männer wie Murgel unwiderstehlich anzog.
Plötzlich scheute ihr nervöser Zelter. Sie bekam die Stute gerade noch in den Griff. Er zügelte verärgert seinen Warmblüter, um auf sie zu warten.
»Wir müssen deine Stute in Konstanz loswerden. Das nervöse Tier schlägt ja schon aus, wenn ihm nur ein Vogel vor die Nüstern fliegt«, stellte er gereizt fest.
Dorothea schaute ihn anklagend an. »Aber ich liebe dieses Tier. Sein Stammbaum reicht zurück bis zu den Stuten des Propheten. Mein Vater hat sie mir einst geschenkt.«
Er beherrschte sich gerade noch und zwang sich, verständnisvoll zu nicken. »Schade um das wertvolle Ross. Zu einer anderen Zeit wäre ich stolz gewesen, es zu besitzen. Doch eine solche Reise quält das empfindliche Tier nur. Das musst du doch einsehen. Es ist ein Pferd für bequeme Pfade. Wir müssen schauen, dass wir die Stute in Konstanz loswerden. Sie bringt bestimmt ein hübsches Sümmchen.«
Er sah den stummen Protest in ihrem Gesicht und ließ sie erst gar nicht zu Wort kommen. »Das Geld können wir gut brauchen. Mein Fuchswallach sieht zwar aus wie ein Bauernpferd, ist aber den widrigen Umständen weit besser gewachsen. Wir werden dir ein ähnliches Pferd besorgen. Gefühlsduseleien können wir uns im Moment nicht leisten.«
Dorothea Offenburg biss sich auf die Lippen. Doch es kam kein Widerspruch. Ungeduldig winkte Leimer seiner Frau zu, die etwas zurückgeblieben war. Er war erleichtert, dass sie sich wieder einmal fügte, ohne Ärger zu machen. Andererseits
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