Zeit des Lavendels (German Edition)
Lehrschwester wussten noch davon. Denn Nele war es, die dich, Katharina, in einer Sommernacht in meine Arme legte und einer jungen, unerfahrenen Frau die Sorge für ein Neugeborenes übertrug, das dieser und ihrer ganzen Familie ein Weiterleben in Ehren ermöglichte und sie vor dem Staub der Armut rettete.
Gott möge mir verzeihen, dass ich das Gelübde des Schweigens jetzt breche. Doch lest nun, was in jener Sommernacht, am 16. Juli vor mehr als 20 Jahren und in den Wochen zuvor geschah.
Ich will es kurz machen. Du, Katharina, bist die uneheliche Tochter von Hans Ulrich zu Wieladingen und seiner großen Liebe, einem schönen, aber einfachen Bauernmädchen. Wie du weißt, waren die Herren zu Wieladingen einst die Inhaber des niederen Meieramtes, saßen also in kleineren Angelegenheiten zu Gericht und regierten von ihrer Burg im Murgtal aus. Ihre Linie ist nun seit langer Zeit hier bei uns ausgestorben. Doch eine andere Linie des Geschlechts existiert noch. Das Haus der Wieladinger ist keineswegs erloschen, auch wenn nur wenige das noch wissen. Dein Geschlecht, deine Familie, die deines Vaters, lebt seit fast 200 Jahren wohl geachtet in Bern.
Dein Vater hat inzwischen eine Familie, ist kurz davor, zum zweiten Mal Großvater zu werden. Er würde dich niemals offiziell anerkennen. Außerdem weiß er nicht, dass du lebst. Dein Großvater erzählte ihm einst, du wärst zusammen mit deiner unglücklichen Mutter gleich nach der Geburt gestorben. Doch er wäre stolz auf seine Tochter, die seinen wilden, ungezähmten Sinn geerbt hat.
Aber ich schweife ab. Auch diese Berner Linie der Wieladinger trägt den Segen und den Fluch jenes stürmischen Geistes in sich, der schon die einstigen Meier des Stiftes Seggingen so gefürchtet und gleichzeitig so beliebt machte. Kannten sie doch kein Halten bei den Sehnsüchten des Herzens und auch nur wenig Rücksicht, was ihre sonstigen Wünsche anbetraf.
Der Stammsitz deines Geschlechtes, die umliegenden Wälder, die Matten und Wiesen der Burg, das Fischereirecht in der Murg von Hottingen bis zum Rhein und der Lehnhof in Wieladingen wurden vom Hause Habsburg dem in Waldshut wohnenden Herrn Baldung zum Lehen, zur Verwaltung und zum Schutz gegeben, als es die Wieladinger im Murgtal nicht mehr gab. Doch kein anderes Geschlecht wohnt darin, seit die Herren mit Hartmann, dem letzten der Wieladinger, aus der Gegend verschwanden. Die dicken Mauern, gebaut für die Ewigkeit, beginnen zu bröckeln. Keine Ritter in eisengetriebenen Rüstungen überqueren mehr die Zugbrücke, kein schweres Stampfen der Hufe beladener Tiere kündet mehr von einem erfolgreichen Beutezug. Denn sie fühlten sich keinem Gesetz untertan als ihrem eigenen. So wurden die wilden Herren zu Wieladingen bald gefürchtet, konnte doch keine Strafexpedition ihre wilde Burg auf den Felsen erstürmen.
Auf der anderen Seite waren sie beliebt, nahmen darbende Reisende auf und unterstützten das gemeine Volk im Kampf gegen die Übergriffe der Obrigkeit. Alle, die in Treue zu ihnen hielten, denen waren sie treu.
Doch die Linie spaltete sich. Der eine Teil des Geschlechtes zog das geachtete Leben im Licht vor. Sie ernteten Reichtum für ihr gottgefälliges Leben. Die andere Linie, die im Murgtal, ereilte schließlich das Gericht des Herrn, und sie erlosch mit Hartmann von Wieladingen vor rund 200 Jahren, als dieser 1376 sein Meieramt, das Recht, Gericht zu halten, für 875 Gulden an das Stift Seggingen verkaufte. Seit damals wurde dieses Amt nicht mehr verliehen und auch nicht die damit verbundenen Rechte. So gab es auch keine Einnahmen mehr aus der Gerichtsbarkeit in den Dinghöfen. Und auch die Fälle, der Ersatz für den Arbeitsausfall beim Tod eines Hörigen, stehen seitdem wieder dem Stift zu.
Dein Vater, Katharina, ein Spross der Berner Linie, kannte auch kein Halten, wenn es um Herzensangelegenheiten ging. Er konnte das Wieladinger Blut nicht verleugnen, auch wenn ihn die Jahre inzwischen weiser und abgeklärter gemacht haben. Unsterblich verliebte sich der junge Hans Ulrich in ein einfaches Bauernmädchen, die Hörige Katharina, deren Namen du bekamst. Denn das Ergebnis dieser alle Standesgrenzen missachtenden Liebe bist du. Deine Mutter starb im Kindbett, nur wenige Stunden nach deiner Geburt. Die Familie deines Vaters tat alles, um die Frucht dieser Beziehung zu verbergen. Selbst vor Hans Ulrich, deinem Vater, dem dein Großvater in dieser Hinsicht nicht traute. Er hatte Angst, sein Sohn würde in seiner ungestümen Liebe
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