Zeit des Lavendels (German Edition)
gut, sehr gut sogar. In Murgels Gehirn arbeitete es fieberhaft. Dieser Mann würde gehorchen, ihm aus Rom alle Informationen liefern, die er brauchte, um sein eigenes Fortkommen zu beschleunigen.
Leimer versuchte vergeblich, aus Murgels Miene herauszulesen, wie es um seine Sache stand. Dieses Schweigen wurde ihm langsam ungemütlich. Der Mann war ein guter Schachspieler, das sah man. Und er glaubte offensichtlich, seinen Bauern gefunden zu haben, den er im Zweifelsfall opfern könnte. Man würde sehen. Auch er war ein Meister in diesem Spiel.
Murgels Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Ich werde es mir überlegen. Ich denke eigentlich nicht, dass Ihr meine Hilfe verdient habt. Aber ich bin immerhin bereit, darüber nachzudenken. Schließlich habt auch Ihr eine unsterbliche Seele — falls Ihr wirklich Reue und Demut zeigt wie ein echter Mann der Kirche. Doch davon scheint Ihr mir im Moment noch weit entfernt zu sein. Ich weiß noch nicht, ob Ihr würdig seid, wieder in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen zu werden. Mehr kann ich Euch jetzt nicht sagen. Kommt in einer Woche wieder.«
Leimer fuhr auf, wollte protestieren. Seine Lage und der herannahende Winter forderten einen schnellen Aufbruch nach Italien. Doch eine energische Handbewegung Murgels erstickte seinen Widerspruch. »Geht jetzt, bevor ich es mir anders überlege.«
Es dauerte nicht eine, sondern zwei Wochen, bis Thomas Leimer endlich sein Empfehlungsschreiben in der Hand hielt.
Es machte Murgel Vergnügen, ihn zappeln zu lassen. Außerdem war es klug, wenn dieser Mann von Anfang an zu spüren bekam, wer hier die Macht hatte. Bevor er das Pergament versiegelte, gab er es seinem neuen Hörigen zu lesen. Der Brief war in Latein verfasst, Thomas Leimer hatte einige Mühe, ihn zu verstehen:
Hochverehrter Bruder in Christo,
Kardinal Gian Pietro Carafa,
der Mann, der Euch dieses Schreiben überbringt, ist Bruder Benediktus, ein reisender Kapuziner-Mönch, den es aus verschiedenen Gründen nach Italien und in Euren Orden zieht. Er ist ein gewandter Mann, der Euch so nützlich sein könnte, wie er es mir war, wenn Ihr Eure Hand über ihn haltet. Vielleicht könnte er durch Eure Gnade und mit Eurer Fürsprache im TheatinerOrden Zuflucht finden. Er wird tun, was immer Ihr von ihm verlangt.
Jakob Murgel, Domherr zu Konstanz
14. November, im Jahre des Herrn 1549
Dieses Schreiben machte ihn zum gefügigen Werkzeug eines Mannes, den er noch nicht einmal kannte. Das begriff Thomas Leimer sofort. So empfahl man willige Spione und Mörder. Doch er hatte keine Wahl. Ein anderes würde er nicht bekommen. Insgeheim imponierte ihm sogar die Weitsicht Mur-gels. Der Mann verstand es, aus einer Situation Kapital zu schlagen. Immerhin hatte Murgel ihm mit seinem Brief eine falsche Identität verschafft. Vielleicht ließ sich daraus ein Hebel schnitzen, der die Verhältnisse veränderte. Deshalb beschränkte er sich auf eine einzige, lahme Frage: »Was mache ich als Mönch mit meinem Weib Dorothea Offenburg? Als Mann der Kirche kann ich wohl schlecht mit einer Frau reisen.«
In Murgels Blick lag Stahl. »Das ist Euer Problem, Bruder Benediktus.«
Keuchend stellte die Schankmagd Maria die beiden schweren, gefüllten Bierkrüge vor der Türe zum Schankraum ab. Mit dem Unterarm wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Wenn sie noch oft in den Keller musste, um Nachschub zu holen, dann würden ihr bis Mitternacht die Arme bis zu den Kniekehlen hängen. Sie hob die Arme und schob mit den Händen ihre Brüste noch ein wenig höher in dem eng anliegenden Mieder. Grinsend blickte sie in ihren weiten Ausschnitt. Zwei runde, pralle Kugeln kamen ihr entgegen. Sie sprangen den Männern förmlich ins Gesicht. Besonders, wenn sie sich leicht vorbeugte, um ihnen mit einem auffordernden Knall ihr Essen oder ihr Getränk vorzusetzen. Der Umsatz der Schänke am Konstanzer Fischmarkt hatte sich erheblich gesteigert, seit Maria hier bediente.
Als sie die Tür zum Schankraum öffnete, schlug ihr die schwere, warme Luft nach der Kälte im Kellergewölbe wie ein heißer Lappen ins Gesicht. Es roch wie immer hier: nach dem stickigen Qualm des Kaminfeuers, nach dem Schweiß ungewaschener Gäste, dem Dunst von Alkohol und ranzigem Fett, der noch tagelang in den Kleidern hing. Der dunkle, bärenhafte Fremde mit dem langen, lockigen Haar, das nach einer zärtlichen Frauenhand schrie, und dem vollen Bart saß noch immer da wie vor fünf Minuten, als sie zum
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