Zeit des Lavendels (German Edition)
Moment ist das Wetter ohnehin so schlecht, dass Ihr nicht reisen könnt. Und wenn der Frühsommer kommt, seht Ihr Euren Mann in Konstanz wieder. Das lässt er Euch ausrichten.« Die junge Frau tat ihr Leid. Es war besser, Männer wie dem ihren nie zu begegnen.
Dorothea Offenburg schluchzte. Nun war es also doch geschehen. Er war fort. Das Unsagbare, das Unerträgliche war eingetroffen. Jetzt hatte sie nichts mehr. Sie war allein. Ohne ihren Mann. Und ohne ihrer beider Kind. Innerlich betete sie zum Himmel, er möge sie sterben lassen.
Drei Tagesritte entfernt kämpfte sich das Pferd von Thomas Leimer langsam durch inzwischen fast hüfthohen Schnee. Es war kalt, aber der Schneesturm war schwächer geworden. Er hatte wohl die Wetterscheide hinter sich. Und Bruder Benediktus war zum Leben erwacht. Statt eines Vollbartes zierte jetzt ein kleiner, spanischer Spitzbart sein Kinn. Die Wangen hatte er glatt rasiert, was ihm ein völlig verändertes Aussehen gab.
Der heilige Bruder fluchte ganz unheilig, als das Ross und das Packpferd auf dem Weg durch den Schnee stolperten. Doch er war entschlossen. Schneetreiben, Kälte oder Sturm — er würde den Weg nach Italien schaffen, in die wärmenden Arme von Mutter Kirche. Davon würde ihn nichts und niemand abhalten.
Es dauerte eine Woche, bis Dorothea Offenburg sich so weit erholt hatte, dass sie aufstehen konnte. Der Schneefall wollte kein Ende nehmen. Nach kurzen Pausen fielen wieder weiße Flocken, als habe der Himmel ganze Berge davon für diesen Winter bereit. Die einsame Frau sah aus dem winzigen Fenster ihrer Kammer auf die mit dicken, weißen Mänteln eingehüllten Bergspitzen. Sie hatte jetzt keine Chance mehr, ihrem Mann zu folgen. Der Schnee war zu hoch, sie war zu schwach. Die Herberge in Vaduz hatte in den letzten Tagen kein Gast mehr erreicht. Der letzte Reisende war vor zwei Tagen gekommen. Das hatte die Wirtin erzählt. Auch er steckte nun fest, ohne Aussicht, vor dem nächsten Jahr weiterzukommen.
Regine Steirer tröstete die Frau, als sie das Essen in die Kammer brachte. Sie kam aus gutem, reichem Hause, das sah man. Aber sie beklagte sich nicht über die Einfachheit der Herberge. Und Reichtum schützte wohl auch nicht davor, dem falschen Mann in die Hände zu fallen. »Es freut mich, dass Ihr noch ein wenig bei uns bleibt. Dann sind wir zu Weihnachten wenigstens nicht allein in dieser weißen Einsamkeit. Oft sehen mein Mann und ich im Winter wochenlang keine Reisenden. Nur die Einheimischen kommen. Es ist schön, das Fest der Geburt Jesu diesmal mit Hausgästen zu feiern.«
Dorothea Offenburg dachte zweifelnd an ihre Geldkatze, die immer dünner würde. Sie hoffte, die wenigen Münzen, die ihr Mann ihr dagelassen hatte, würden reichen, bis der Himmel aufklarte und der Frost brach. Irgendwie beruhigte sie der Gedanke, dass es noch einen Fremden gab, der in der Herberge gestrandet war. Vielleicht würde dieser Mann ihr weiterhelfen können. Sie musste so schnell wie möglich wieder gesund und kräftig werden, um mit ihm zu sprechen. Womöglich konnte er sie ja nach Konstanz zurückbringen.
Konz Jehle hatte ganz andere Gedanken. Er verfluchte das Missgeschick, das ihn dazu verdammt hatte, die Verfolgung von Thomas Leimer zu unterbrechen. Er wusste, mit jedem Tag, den er warten musste, würden seine Chancen schlechter werden, diesen Mann zu stellen. Er verschwendete keinen Gedanken an die kranke Frau oben im Zimmer. Er wusste zwar von ihr, aber in seinem Kopf hatte nichts anderes Raum als die drängende Eile, diese nagende Entschlossenheit, die ihn hinter dem Mann hertrieb, der ihm seine Frau, seine Heimat, seine Zukunft genommen hatte.
Doch das änderte sich, als er Dorothea Offenburg traf und sie wieder erkannte. Als sie in den Abendstunden am Kamin ins Gespräch kamen, als sie einander ihre Geschichte erzählten. Für Dorothea Offenburg stürzte die Welt ein, als sie von dem Betrug ihres Mannes erfuhr, als sie erkannte, dass sie einem Verzweifelten gegenübersaß, dem ihr Mann erst die Frau und dann beinahe das Leben genommen hatte. Es war, als sei das Ende ihrer Welt gekommen.
Der Abgrund, in den sie fiel, wurde bodenlos, als sie schließlich begriff, dass Thomas Leimer, ihr Mann, der rechtmäßig verbundene Gatte der Magdalena von Hausen war. Es gab nicht mehr den Hauch eines Zweifels am ganzen Ausmaß seiner Heimtücke, nachdem Konz Jehle ihr die Geschichte von der heimlichen Hochzeit und der feigen Flucht des Mannes erzählt hatte, den sie liebte.
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