Zeit des Lavendels (German Edition)
Weiberrock zu warten, hab i net. Und sei er noch so saftig.« Anerkennend blinzelte er zur Tuchhändlersfrau hinüber. Dorothea Offenburg schaute angestrengt ins Kaminfeuer und tat, als hätte sie nichts gehört.
»Und was ist mit dem Schiff? Ich habe gehört, die Ledinen fahren auch im Winter?« Thomas Leimer wollte nicht aufgeben. Da musste er halt das Risiko eingehen, die bekannte alte Handelsroute zu nehmen.
Anderl nickte nachdenklich. »Das wär vielleicht eine Möglichkeit. Da müsst die Gattin sich nicht gar so schinden. Das müssen bloß die Taglöhner, die armen Siecher, und die Gespanne, die die Kähne den Alpenrhein stromaufwärts ziehen. Aber vielleicht fahren die Schiffer bei dem momentanen Hochwasser gar net.«
Thomas Leimer nickte und blickte zu seiner Frau. Sie würden also die Ledine nehmen, was blieb ihnen auch anderes übrig. Das hieß, die Pferde mussten zurückbleiben. Nun, er würde sich später um neue kümmern.
Den ersten Teil der Strecke kamen sie auch gut voran. Doch schon nach einigen Tagen, bei Lustenau, war Schluss. Die schäumenden Fluten des Rheins machten jede Weiterfahrt unmöglich. Sie mussten wieder über Land weiter.
Es war kalt geworden. Je weiter der Weg den Tuchhändler und seine völlig erschöpfte Frau bergan führte, umso mehr Schneeflocken mischten sich unter den Regen. Nun peitschte der Sturm die eisigen Kristalle gegen die in Lustenau eilig besorgten, mageren Gäule, in ihre Augen, in das Gesicht von Dorothea Offenburg, das nur unzulänglich durch einen Schal und die Kapuze geschützt war. Obwohl sie das Tuch bis fast unter die Augen gezogen hatte, drang die Schärfe des Eises noch immer bis zu ihrer Haut durch.
Mit Sehnsucht erinnerte sie sich an jene Winter, als sie in der warmen Stube in ihrem Haus am Rheinknie gesessen und der Schnee sich wie weicher Flaum auf die Fensterbank gesetzt hatte. Zarte Kristalle, wunderschön und leicht wie Federn. Sie hatte nicht gewusst, dass Schnee so wehtun konnte. Was hätte sie dafür gegeben, noch einmal an diesem Feuer sitzen zu können. Endlich einmal nicht mehr müde zu sein, endlich einmal ohne Flohbisse, endlich einmal wieder etwas Anständiges zu essen und nicht diesen ewigen, faden Brei, das halb gare Fleisch, das die Herbergen am Weg zu bieten hatten. Endlich wieder ein duftendes Daunenbett und keine dieser dreckigen, zerrissenen, stinkenden Decken, die es in den riesigen Schlafsälen dort gab. Nur wenn sie viel Glück hatten, war noch ein eigenes Zimmer für den Tuchhändler und seine Frau frei. Oft waren es aber Sammelunterkünfte, meist sogar die Gaststube selbst, in der sie sich neben anderen schnarchenden, stöhnenden, stinkenden, scheißenden, furzenden, rotzenden Menschen einrichten mussten. Sie konnte dort kaum schlafen. Ihr ganzer Körper juckte schon vor Dreck und Flohbissen. Manchmal hatten sie schlechter genächtigt als früher die Pferde in ihrem Stall in Basel.
Dorothea seufzte. Ihren geliebten Zelter hatte sie schon in Konstanz zurücklassen müssen. Jakob Murgel hatte ihn in seinen Ställen untergebracht. Wenigstens hatte es das Tier jetzt gut. Sie verstand nicht, warum sie nicht den Winter über in Konstanz geblieben und erst im Frühling über die Alpen gereist waren. Wegen Bigamie würde keiner der Häscher im Winter hinter seinem Ofen hervorkommen, um sie und Thomas Lei-mer zu jagen. Zumal doch niemand wusste, dass sich hinter dem Tuchhändler Johannes Brutschin und seiner Frau Ursula Thomas Leimer und Dorothea Offenburg verbargen. Auf ihre diesbezügliche Frage hatte ihr Mann nur barsch erklärt, sie könne ja in Konstanz bleiben. Doch Dorothea wusste, das konnte sie nicht.
Er hatte sich verändert in den letzten Wochen. Die Zärtlichkeit und Besorgnis, das Lachen, die jungenhafte Lust auf Abenteuer, die sie an diesem Mann so liebte, waren einer beständig größer werdenden Griesgrämigkeit gewichen. Jede seiner barschen Äußerungen, jeder ärgerliche Blick machten ihr inzwischen Angst. Panische Angst, sie könnte ihn verlieren. Und das, das wusste sie, würde sie nicht ertragen. Hastig verdrängte sie diesen Gedanken wieder aus ihrem Bewusstsein. Ein Leben ohne Thomas Leimer — daran mochte sie noch nicht einmal denken.
Zum ersten Mal hatte sie sich einem Mann so bedingungslos gegeben, einen Menschen so nah an sich herangelassen. Sie, die früher so distanzierte Dorothea Offenburg, die immer die Kontrolle behielt, niemandem erlaubt hatte, sie so tief in ihrem innersten Sein zu berühren. Nun
Weitere Kostenlose Bücher