Zeit des Lavendels (German Edition)
Die ganze Zeit über war sie nichts als seine Mätresse gewesen. Ihr Bund war weder durch Gottes noch der Menschen Recht gesegnet. Doch sie hatte ihm geglaubt, gegen alle Vernunft, immer wieder geglaubt, als er auf die Bibel schwor, er habe Magdalena von Hausen niemals rechtmäßig geehelicht.
Nun war sie vollkommen allein; war eine von jenen Frauen, die sie früher immer so verachtet hatte: eine Buhlschaft, nichts weiter, austauschbar wie ein Hemd, das man nicht mehr brauchte. Dieser Mann hatte sie nie geliebt. Niemand ging mit Menschen, die er liebte, so um. Niemand hatte das Recht, andere so zu verletzen. Jetzt gab es nur noch eines, was sie in ihrem Leben wollte: Magdalena von Hausen sprechen, sie sehen, sie kennen lernen, sie für ihre unwissentlich begangene Sünde um Vergebung bitten. Jene Frau, die ebenso, nein, noch mehr getäuscht worden war als sie. Nur das wollte sie noch. Und wenn es das Letzte war, das sie in ihrem Leben tat.
Es wurde ein trauriges Weihnachtsfest für die Menschen in der eingeschneiten Herberge. Als die Kerzen brannten, die Zeit der Liebe kam und die Sehnsucht nach einer Heimat immer größer werden ließ, empfanden Konz Jehle und Dorothea Offenburg Leere. Ihr Leid war zu groß, um eine Brücke zueinander zu schlagen. Sie konnten sich gegenseitig nicht helfen. Der andere erinnerte jeden nur an eigenes Leid. So gingen sie sich schließlich aus dem Weg, wo sie nur konnten. Beide verbrachten den Heiligen Abend für sich in der eigenen Kammer.
Ihre Gastgeber saßen ebenfalls allein um den festlich geschmückten Tisch vor dem liebevoll zubereiteten Weihnachtsbraten. Das Herz der Wirtsfrau krümmte sich vor Mitleid, wenn sie an die beiden einsamen Menschen dachte, den Mann und die Frau, die jedes Stückchen der Hoffnung verloren hatten, die dieser Tag den Herzen der Menschen doch eigentlich bringen sollte.
17
K opfschüttelnd betrachtete Hans Jakob von Schönau die frühere Äbtissin von Seggingen. Sie hatte sich nahe ans Feuer gekauert und rieb ihre erstarrten, schon blau gewordenen Finger.
»Ihr solltet in dieser Kälte nicht so lange und so oft im Münster beten. Erst gestern habe ich beobachtet, dass Ihr stundenlang auf dem kalten Steinfußboden knietet. Es hilft niemandem, wenn Ihr an Lungenentzündung erkrankt und sterbt.«
Auf dem verhärmten Gesicht der Magdalena von Hausen zeichnete sich ein feines Lächeln ab. »Wenn Ihr mich beobachtet habt, dann heißt das, Ihr wart im Münster. Ein wenig beten tut wohl in diesen frostigen Februartagen, nicht wahr? Es wärmt das Herz. Das ist gut bei einem knurrenden Magen. Was macht da schon etwas äußere Kälte. Die Menschen in der Stadt hungern. Und ich bin schuld, dass keine Äbtissin sie führt und tröstet. Soll ich da nicht sooft ich kann wenigstens für ihr Seelenheil beten? Etwas anderes habe ich sowieso nicht zu tun. Und ich kann auch an keinen anderen Ort als ins Münster, wie Ihr wohl wisst.«
»Erst macht Ihr Euch über mich lustig, und dann seid Ihr böse mit mir, obwohl ich mich doch nur um Euch sorge. Findet Ihr, das steht einer gottesfürchtigen Frau gut an, so mit ihren Freunden umzugehen?« Der wuchtige Mann schien das kleine Zimmer des Häuschens im Alten Hof hinter dem Münster fast auszufüllen. Mit Zuneigung blickte er auf die Frau am Kamin.
Magdalena von Hausen erhob sich. »Es ist wohl wahr. Ihr seid und wart mir ein guter Freund, Großmeier. Dafür kann ich Euch nicht genug danken.«
Hans Jakob von Schönau winkte ab. »Ihr wisst, Sentimentalitäten sind mir zuwider. Außerdem habe ich die Speicher des Stiftes vor einer Woche wieder öffnen lassen. Auch wenn Spichwärter Hans Köhler etwas dagegen hatte. Doch er musste wohl. Denn die künftige Äbtissin Agatha Hegenzer von Wasserstelz hat schriftlich zugestimmt. So werden vielleicht nicht ganz so viele Menschen verhungern.«
Magdalena von Hausen legte die Hand auf den Arm des Großmeiers. »Mit Euch haben die Menschen wenigstens einen weltlichen Fürsprecher. Nun haben die ganz Alten und Jungen noch eine Chance, diesen Winter zu überstehen. Ihr seid ein anständiger Mensch, Schönauer«, sagte sie voller Wärme.
Der schwere Mann drehte sich überraschend behände um und ging ans Fenster. Zu viel Lob machte ihn verlegen. »Selbst der Fluss scheint langsamer dahinzuziehen in diesen Tagen«, murmelte er. »Und es wird wirklich Zeit, dass die neue Äbtissin in Seggingen einzieht. Da sitzt die Hegenzerin noch immer in ihrem Kloster Katharinental und kann nichts
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