Zeit des Lavendels (German Edition)
»Aber ich bin glücklich hier. Ich habe Ruhe und viel Zeit über Gott, die Menschen und das Stift nachzudenken und zu beten.«
Beinahe hätte Melchior Hegenzer laut herausgelacht. Es war lange her, dass er ein Gespräch so genossen hatte. Sie waren ebenbürtige Gegner, diese Frau und er. Er lächelte sie mit allem Charme an, den er aufbringen konnte. »Natürlich müsst Ihr nicht gehen. Euch steht in diesem Stift ein rechtmäßiger Platz zu, zumal Ihr Euch viele Verdienste erworben habt. Doch meint Ihr nicht auch, dass es klüger wäre — für Euer Seelenheil und das der Menschen —, wenn Ihr Euch Zeit gebt, mit Abstand und Ruhe zu beschließen, wie Euer künftiges Leben aussehen soll? Ihr könntet zu Eurem Bruder nach Speyer gehen. Wie ich höre, habt Ihr auch eine Schwester in Basel. Oder wie wäre es mit einer Kur im Aargau. Ihr seht blass aus.«
Er war erleichtert, als sie ohne weitere Gegenrede nickte. »Ich denke, eine Kur würde mir gut tun. Wenn ich es recht überlege, wäre der Aargau wirklich ein guter Ort.«
»Dann verstehen wir uns.« Nun, da seine Mission erfolgreich beendet war, sah er keinen Anlass mehr zu bleiben, auch wenn er es fast bedauerte. »Kann ich meiner Schwester mitteilen, dass Ihr bald fahren werdet?«, fragte er, schon im Hinausgehen.
Magdalena von Hausen nickte. »Lasst mir ein wenig Zeit, um meine Angelegenheiten zu ordnen.« Und dann, als wäre es ein plötzlicher Einfall: »Ich würde gerne Katharina mitnehmen. Sie ist eine begnadete Heilerin, wie Ihr sicher schon erfahren habt. Und wie Ihr selbst bemerktet, geht es mir nicht sehr gut. Ich werde auf der Reise ihre Hilfe benötigen.«
Er runzelte die Stirn. Er war zu intelligent, um nicht zu bemerken, dass sie ihn auf eine sehr subtile Art und mit einem Lächeln erpresste. »Entweder mit Katharina oder überhaupt nicht«, lautete die Botschaft. Er wusste, dass seine Schwester ihre Heilerin nur ungern ziehen lassen würde. Doch sie würde in den sauren Apfel beißen müssen. Für sie war es wichtiger, dass ihre Vorgängerin für eine Weile fort war, damit die Menschen sich an die ruhigeren Zeiten gewöhnen konnten, ohne immer wieder an die bösen Jahre erinnert zu werden, die hinter ihnen lagen. Also würde sie zustimmen. Er nickte, dann schloss er die Tür hinter sich.
Magdalena von Hausen sank auf den Schemel. Nun war es also geklärt. Sie war frei, den Kreis ihres eigenen Schicksals zu schließen, ihr Versprechen gegenüber Dorothea Offenburg zu halten, Thomas Leimer und Konz Jehle in Italien zu suchen. Angst keimte in ihr auf. Nur gut, dass Katharina sie begleiten würde.
Falls Katharina noch einen zusätzlichen Grund gebraucht hätte, mit Magdalena von Hausen nach Italien zu reisen — Jakob Murgel gab ihn ihr am nächsten Abend. Sie war gerade bei Magdalena von Hausen, um mit ihr den weiteren Gang der Dinge zu besprechen, als sich ohne Klopfen die Türe öffnete. Murgel gab sich nicht einmal den Anschein von Höflichkeit. Seine Blicke glitten gierig über Katharinas Körper. Sie erschauderte und rückte unwillkürlich näher an Magdalena. Dieser Mann war, wenn dies überhaupt möglich war, noch abstoßender für sie geworden. Die Jahre der Völlerei und des Alkohols hatten ihn aufgeschwemmt, die einstmals markanten Züge verweichlicht und schwammig gemacht. Seine Haut war großporig und sah grau und ungesund aus, an seinen einstmals so schlanken, fast aristokratischen Händen bildeten sich erste Gichtknoten.
»Aha, zwei schöne Frauen beieinander«, tönte er hämisch. Er machte sich nicht die Mühe, sich für sein äußerst ungehöriges Benehmen zu entschuldigen. »Wollt Ihr nicht gerne wissen, wo Euer verehrter Gatte steckt«, fragte er Magdalena von Hausen voll unverhohlener Boshaftigkeit. »Ich denke, Ihr solltet ihn schnellstens vergessen. Er ist inzwischen dem Theatinerorden beigetreten und wieder ein sehr eifriger Sohn der Kirche.« Er lachte schallend. »Ich habe ihn in Rom gesehen, als wir den Dispens des Papstes für die Schwester des Hegenzers erwirkten. Und er scheint sich in den Armen der Kirche sehr wohl zu fühlen. Er wird langsam ein reicher Mann, ein guter Diener des Kardinals Carafa. Dieser hat ihn aufgrund seiner Schreib- und Rechenkünste sogar abgestellt, um beim Umbau verschiedener Gotteshäuser behilflich zu sein. Man stelle sich das vor. Das ist der Witz des Jahrhunderts!« Wieder lachte er aus vollem Hals und machte einen spöttischen Kratzfuß vor Magdalena von Hausen. »Nun, werte Dame, Ihr
Weitere Kostenlose Bücher