Zeit des Lavendels (German Edition)
Und auch sie verschwanden aus dem Blickfeld der Reisenden, als die Kutsche über die Bohlen der hölzernen Brücke polterte, dann die Wegbiegung gen Osten nahm, den Rhein entlang in Richtung Kreuzlingen und Konstanz. Die ehemalige Äbtissin sollte zu den heilenden Quellen des Aargau reisen, Katharina würde dann weiter nach Kreuzlingen und Konstanz fahren. Das war es, was alle glaubten.
Der Hegenzer wusste ein wenig mehr. Er trennte sich schon am zweiten Tag der Reise von der Gruppe, kehrte wieder um und zog weiter in Richtung Westen, zurück nach Ensisheim. Seine Männer überließ er Magdalena von Hausen und Katharina, bis auf zwei Getreue, die er mit sich nahm. Das war seine Art, sich wortlos vor einer Frau zu verbeugen, die seine Achtung errungen hatte. Magdalena wusste die Geste und die Sorge um ihre Sicherheit wohl zu würdigen und dankte ihm herzlich zum Abschied. So reisten die beiden Frauen mit vier zusätzlichen Begleitern und dem Kutscher als Schutz weiter nach Osten, in Richtung Bodensee.
Es waren sonnige, laue Sommertage; die Fahrt in der Kutsche war — bei allen Fährnissen, mit denen man bei solcherlei Unternehmungen rechnen musste — recht angenehm. Wo immer es sinnvoll erschien, übernachteten die Reisenden unter freiem Himmel. Warme Decken waren genügend untergebracht in den Truhen auf dem Kutschdach. Zwei der Männer des Begleitschutzes erwiesen sich zudem als geübte Jäger, sodass die Gruppe nur selten in Herbergen übernachten oder die Vorräte auffüllen musste. Das war allen recht so, denn so manche der Absteigen am Wegesrand waren dreckig und verwanzt. Schmierige Tische, Unrat auf den Böden, schlechter Wein und lieblos gekochte, undefinierbare Speisen sorgten dafür, dass allen die Nacht unter freiem Himmel doch lieber war. Das Schlaflied sang der Rhein. Mehr als einmal versuchte Katharina, in den glitzernden Sternen am Himmel ihr Schicksal zu lesen. Mehr als einmal beteten die beiden Frauen gemeinsam, dass der Herr und die gebenedeite Jungfrau Maria ihr Tun segnen und ihnen helfen möge, Schlimmes zu verhüten.
In Baden verabschiedeten sich die Männer des Hegenzers. Die Frauen mieteten sich neue Begleiter, die sie vor Wegelagerern beschützen sollten, und zogen dann weiter an der glänzenden Fläche des Bodensees entlang, passierten Kreuzlingen und machten sich auf in Richtung Bregenz. Beide hatten sich darauf geeinigt, diese Reiseroute zu wählen, weil sie so Regine Steirer, die Wirtsfrau im Adler in Vaduz besuchen konnten. Magdalena wollte sie gerne wieder sehen. Und Katharina hoffte, von ihr mehr über ihren Mann zu erfahren.
In Altenrhein ließen sie die Kutsche zurück und stiegen auf ein Rheinschiff um, eine Halbledine. Das Schmelzwasser aus den Bergen lieferte genügend Wasser für die Reise auf dem Fluss. Es wurde eine geruhsame, doch zugleich auch sehr langsame Fahrt. Und so beschlossen die Frauen, wieder Pferde zu mieten, um schneller vorwärts zu kommen. Je länger die Reise dauerte, umso mehr bekamen Katharina und Magdalena von Hausen das Gefühl, dass die Zeit drängte.
Als die Reisegruppe nach Tagen schließlich den Adler in Vaduz erreichte, bot sich ihnen ein überraschendes Bild. Ein Hüne mit kindlichem Gesicht hatte einen offenbar sturzbesoffenen Störenfried am Kragen seiner Jacke gepackt und expedierte ihn zur Türe hinaus. Der Ruhestörer wedelte wild mit den Armen, doch dann verlor er die Balance. Er fiel Katharina und Magdalena von Hausen direkt vor die Füße. Trotz ihrer Erschöpfung mussten die beiden Frauen lauthals lachen, als sich der Hinausgeworfene brummelnd und fluchend aufrappelte und schwankend davontappte. »Hier scheinen ja raue Sitten zu herrschen«, kicherte Katharina.
Die Wirtsstube war sauber, aber völlig verräuchert. Regine Steirer unterhielt sich gerade mit einem Gast, einem dicken Franziskanermönch mit Fettflecken auf der Kutte und verschmitztem Blick. Er schien kein Kostverächter zu sein; nicht nur, was das Essen anbetraf. Wenn er nicht gerade von seiner Hammelkeule abbiss und mit vollem Mund und zu listigen Schlitzen verengten Augen mit Regine schäkerte, dann wanderte sein Blick unverhohlen zu ihrem durchaus nicht unansehnlichen Hinterteil. Die Wirtsfrau hatte die Hände in die Hüften gestützt und bog sich vor Lachen über etwas, das dieser Mönch gesagt hatte.
»Bei Euch geht es ja hoch her«, sprach Magdalena von Hausen sie an. »Der eine Gast fliegt gerade zur Türe hinaus, der andere erzählt Witze. Bekommen zwei reisende
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