Zeit des Lavendels (German Edition)
Murgels Haus.«
»Soso, die Äbtissin will also, dass du gehst. Das wundert mich. Die von Hausen ist doch eigentlich ein Mensch, der andere recht gut beurteilen kann. Ich denke, wenn du noch einmal vernünftig mit ihr redest, dann lässt sie dich hier. So, wie du dich aufgeführt hast, als du hierher kamst, kann ich gut verstehen, dass sie dich einfach für kindisch gehalten hat. Die Äbtissin mag dich, sie würde nie etwas Schlechtes für dich wollen.«
Jetzt erwachte in Katharina der Trotz. »Doch«, schrie sie fast hinaus. »Sie hat gesagt, wenn ich nicht gehe, dann bliebe mir nur noch das Kloster. Und ich will nicht ins Kloster.«
Nele lachte. »Du kannst gut sagen, was du nicht willst, Mädchen. Weißt du denn auch, was du willst?«
»Ich will hier bleiben. Hier bei dir. Leben wie du. Tun können, was ich will, wie du.«
Nele schüttelte den Kopf. »Jetzt glaube ich wirklich auch langsam, dass du verrückt bist. Im Stift bist du in Sicherheit. Jeden Tag bekommst du etwas Anständiges zu essen, und seit du der Äbtissin zur Hand gehst, musst du auch lange nicht mehr so schwer arbeiten wie früher. Du hast ein ordentliches Bett, musst im Winter nicht frieren. Was willst du also mehr? Was willst du bei der alten Nele, über die jeder tuschelt, sie sei eine Hexe? Zu der zwar alle kommen, wenn es Nacht ist, die aber alle meiden, sobald die Sonne aufgeht. Ich hole mir die Essensreste aus dem Stift, um nicht zu verhungern. Und im Winter habe ich mehr als einmal blaue Zehen, weil ich nicht genügend Brennholz für die Hütte zusammenbekomme. Meine Knochen ächzen unter der Gicht. Ich weiß ohnehin nicht, wie lange ich noch lebe. Also geh zurück zur Äbtissin. Sie ist eine gute Frau. Sie wird dich nicht zwingen, obwohl sie es könnte.«
Flehend blickte Katharina auf die alte, kleine, verhutzelte Frau mit den derben, abgearbeiteten Händen, die so sanft sein konnten. Trotz der vielen Schwielen und den von der Gicht entstellten Fingern mit den rissigen Nägeln. Sie liebte Nele. Schon als kleines Kind war sie manchmal hierher gekommen, wenn sie Kummer hatte. Nele wusste immer Rat. Und auch wenn ihre Stimme barsch klang, ihr Gesicht runzelig und hässlich und ihr Rücken von der Gicht gekrümmt war, Katharina wusste genau, Nele war keine Hexe. Denn die kleinen Äuglein, geschwollen und rot vom Rauch des Feuers in ihrer Hütte, sprachen eine unmissverständliche, gütige Sprache. Auch jetzt wieder.
»Na gut«, krächzte Nele. »Heute Nacht kannst du hier bleiben. Und morgen sehen wir weiter. Leg dich hin, hier auf die Decken. Ich muss noch einmal weg.«
Zufrieden kuschelte sich Katharina in die alten Decken. Sie waren zwar rissig und zerschlissen, aber sauber. Nele achtete auf Sauberkeit. Erschöpft von der Aufregung schlief sie schnell ein. Nele beobachtete das schlafende Mädchen noch eine Weile. Dann erhob sie sich ächzend und verließ die Hütte. Sie ging ungern in die Stadt. Doch heute musste es sein. Sie musste Konz Jehle finden, damit er der Äbtissin sagte, wo Katharina war. Sie schätzte diese Magdalena von Hausen. Sie hatten sich einst gut kennen gelernt. Damals, als die Adlige die Hilfe der Heilerin brauchte. Obwohl sie nun Äbtissin war und eine Frau mit Macht und Einfluss, kam Magdalena von Hausen noch immer heimlich zur alten Nele und fragte sie um Rat. Aber das wusste niemand. Und sie würde es niemals jemandem sagen. Auch Katharina nicht. Obwohl sie doch der eigentliche Grund für diese in Jahren gewachsene Freundschaft war. Eines wusste Nele jedenfalls genau. Diese Magdalena von Hausen würde dem Mädchen niemals bewusst etwas Böses antun.
Katharina wachte früh auf am nächsten Morgen. Obwohl es Sommer war, fröstelte sie. Als sie die Augen aufschlug, sah sie als Erstes die Lichterkringel, die die Morgensonne auf ihre Decken malte, als sie durch die Ritzen und Löcher in der Hüttenwand fiel.
»Guten Morgen, Katharina«, sagte Magdalena von Hausen sanft. Katharina erstarrte. Nele hatte sie verraten. Nun war alles aus. Magdalena von Hausen war gekommen, um sie zu Jakob Murgel zu schicken. Sie begann zu schluchzen.
»Katharina, jetzt hör auf zu weinen. Dieser Julimorgen ist viel zu schön, um Tränen zu vergießen.« Magdalena von Hausen kniete sich neben sie, ihr dunkles Seidenkleid raschelte dabei. Irgendwie beruhigte dieses Rascheln. Und die Stimme Magdalenas war auch nicht mehr ärgerlich. Zögernd hob Katharina den Blick. Was sie sah, ließ sie Mut fassen. Die Äbtissin sah eigentlich nicht
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