Zeit des Lavendels (German Edition)
Katharina doch mehr an ihr hängen, als sie gedacht hatte? Sie liebte dieses halbe Kind, seit es damals zu ihr gebracht worden war, ein hilfloses kleines Bündel. Möge der Himmel verhüten, dass sie jemals erfuhr, woher sie kam.
»Katharina«, sagte sie sanft, »ich weiß, du kennst keine andere Heimat als diese. Und ein wenig bin ich mit den Jahren auch zu deiner Mutter geworden. Du weißt, wie sehr ich deine Gegenwart schätze. Und ich kann auch verstehen, dass du Angst hast, in eine völlig fremde Welt zu kommen. Aber du musst keine Furcht haben vor den Aufgaben, die dich erwarten. Ich bin mir sicher, du schaffst, was von dir erwartet wird. Schlaf eine Nacht darüber. Du wirst sehen, morgen denkst du ganz anders über die Sache.«
Katharina konnte sich kaum noch beherrschen. »Ich gehe nicht zu diesem Mann. Niemals! Auch morgen nicht. Seht Ihr denn nicht, dass er etwas ganz anderes von mir will als Hilfe für seine Haushälterin! Er will mich für sein Bett. Dieser Mann ist schlecht. Ich fürchte mich vor ihm.«
»Katharina, wie kannst du nur! Wie kommst du bloß auf eine solch irrsinnige Idee? Du bist doch fast noch ein Kind. Und Jakob Murgel ist Domherr des Konstanzer Münsters, ein geachtetes Mitglied des Kapitels und ein Vertrauter des Bischofs. Wie kannst du nur so unverschämt sein und ihm so etwas unterstellen. Schweig jetzt. Die gute Nachricht hat dich offensichtlich völlig durcheinander gebracht. Wir reden morgen weiter. Geh! Geh in deine Kammer und beruhig dich erst einmal. Du bist ja nicht mehr bei Verstand.« Kopfschüttelnd sah Magdalena von Hausen dem völlig aufgelösten Mädchen nach, als es hinausstürmte.
Katharina konnte kaum noch klar denken. Doch sie wusste, sie musste irgendwie einen klaren Kopf bekommen, um einen Ausweg aus dieser Situation zu finden. Eines war jedenfalls sicher. Zu Murgel würde sie nicht gehen. Um nichts auf der Welt. Nur fort von hier, dachte sie immer wieder. In ihre Kammer konnte sie nicht, so viel war klar. Sie teilte sie mit Barbara, der Liebschaft von Konz Jehle. Mit Barbara konnte sie nicht reden. Sie war ohnehin eifersüchtig, weil Katharina so viel Zeit mit Konz verbrachte, der sie offensichtlich mochte. Also, wohin dann?
Kopflos stürmte sie durch die Gassen, vorbei an Menschen, die ihr verwundert oder missbilligend nachschauten, als sie mit aufgelösten Zöpfen an ihnen vorbeirannte. Dies war eine Gegend, in der die Menschen gesittet gingen. Sie merkte kaum, wie sie über die lange, überdachte Holzbrücke lief, hörte nicht das Hämmern ihrer nackten Füße auf den Bohlen. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Katharina wurde erst bewusst, wo sie war, als sie vor der kleinen Hütte der alten Nele stand und wie wild an die rissige Türe aus verwittertem Holz hämmerte. »Nele, mach mir auf. Nele, um aller Heiligen willen, lass mich herein! Ich muss ...«
»Was musst du Mädchen? Hat dein Liebhaber dich geschwängert, oder will er dich nicht? Soll ich dir einen Liebestrank brauen?«, kicherte die kratzige Stimme der Alten plötzlich in ihrem Rücken. Katharina drehte sich herum und warf sich in die Arme der alten Nele, obwohl diese sogar noch ein Stückchen kleiner war als sie.
»Komm, komm, jetzt atme erst mal tief durch. Du bist ja völlig aufgelöst. Und dann erzähl mir, was los ist. Die alte Nele wird dir helfen, wenn sie kann.« Beruhigend klopfte die bucklige Alte dem Mädchen auf den Rücken. »Nun komm aber erst mal hinein. Es ist nicht gut für dich, wenn man dich hier mit mir sieht. Komm, ich mache uns einen Melissentee, das beruhigt.«
Nele nahm die schluchzende Katharina sanft bei der Hand und zog sie energisch ins Innere der kleinen Hütte.
Katharina war erst wenige Male hier gewesen. Die Alte bat nicht gerne Besucher zu sich herein. Die meisten ihrer Geschäfte machte sie vor der Tür. Ob drinnen oder draußen, das war nicht so wichtig. Denn die Menschen kamen meist nachts zu ihr. Sie fragten um Rat wegen eines Zipperleins, das nicht weggehen wollte, sei es bei sich selbst, bei der Familie oder den Tieren. Sie suchten ihre Hilfe in Liebesangelegenheiten, bei Händeln oder anderen Schwierigkeiten. Sie kamen, wenn sie nicht mehr weiterwussten. Nele war immer die letzte Zuflucht. Doch wenn sie über die Alte vor der Stadt sprachen, dann flüsterten sie und bekreuzigten sich hastig oder kreuzten Mittel- und Zeigefinger hinter dem Rücken zum Schutz gegen die bösen Geister. Die Menschen suchten ihre Hilfe in der Dunkelheit. Wenn es
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