Zeit des Lavendels (German Edition)
richtig ärgerlich aus. In ihren Augen schimmerte sogar ein kleines Lächeln, obwohl das schöne Gesicht ernst blieb.
Angesichts des Hoffnungsschimmers in der Miene des Mädchens musste Magdalena dann aber doch schmunzeln. »Glaubst du wirklich, ich würde dich irgendwohin schicken, wo du auf keinen Fall hinwillst? Nele hat mir — dem Himmel sei Dank — gesagt, wo du steckst. Sei nicht böse auf sie. Sie wusste, ich würde mir Sorgen um dich machen, nachdem du gestern so völlig aufgelöst aus meinem Zimmer gestürmt bist und dann verschwunden warst.«
»Ihr macht Euch Sorgen um mich?« Katharina war erstaunt und ein wenig geschmeichelt. »Warum? Ich bin doch niemand. Ihr könnt doch mit mir tun, was ihr wollt.«
»Katharina, jetzt sei nicht albern. Im Angesicht des Herrn bist auch du ein Menschenwesen, das es zu hüten gilt. Waren es denn nicht gerade die Schwachen und Geschlagenen, denen er das Himmelreich versprach? Und sollte ich dem Wort des Herrn gerade in deinem Fall nicht folgen? Katharina, wenn du in einer Woche noch immer nicht zu Jakob Murgel willst, dann musst du nicht gehen. Das verspreche ich dir. Du musst mir dafür versprechen, dass du nicht wieder wegläufst und dir die Sache in aller Ruhe noch einmal durch den Kopf gehen lässt.«
Zögernd nickte Katharina.
»Na, dann komm, Mädchen. Auf dich und mich wartet eine Menge Arbeit.« Die Äbtissin erhob sich und nickte der alten Nele zu, die sich im Hintergrund gehalten hatte.
Nele nickte in stummem Einverständnis zurück, als wollte sie sagen: »Na also, ich habe es doch gewusst.« Ihr zahnloser Mund verzog sich zu einem Lächeln, als sie die beiden Seite an Seite davongehen sah. Rechts die hohe, aufrechte Gestalt der Magdalena von Hausen, links die zierliche Vierzehnjährige. Der dunkelbraune neben dem rötlich schimmernden Schopf. Die Reichsfürstin neben der Dirne aus dem Nirgendwo. »Und doch sind beide nur Frauen auf der Suche nach ihrem Weg in einer Welt der Männer«, dachte Nele. »In welcher Wiege sie auch immer lagen, ob hoch oder niedrig geboren, darin sind alle Frauen gleich. Und darum müssen wir einander beistehen so gut wir können.«
Jakob Murgel kochte innerlich. Aber auch der aufmerksamste Beobachter hätte nichts davon gemerkt. Der Domherr hatte in langen Jahren der Übung gelernt, sich zu beherrschen. Doch die einzige Geste, die er sich gestattete, hätte einem Kenner seines Charakters verraten, wie wütend er war: Er knallte das Pergament mit dem Siegel der Fürstäbtissin heftig auf den Schreibtisch. Magdalena von Hausen weigerte sich in nüchternen Worten, die hörige Magd Katharina zu ihm zu schicken. Das Kind sei noch zu jung, schrieb sie, um die ihr zugedachten Aufgaben zu erfüllen. Erst müsse sie besser Haushalten und auch Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, um dem allergnädigsten Domherrn in Konstanz eine gute Hauserin sein zu können.
Der allergnädigste Domherr war jedenfalls im Moment nicht allzu gnädig gestimmt. Irgendeine merkwürdige Beziehung gab es zwischen Magdalena von Hausen und dieser Dirne, die ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Er hatte so manches munkeln hören, als er in Seggingen war. Nichts Konkretes, aber doch Verwunderung darüber, warum sich eine Äbtissin einer Dienstmagd derart annahm und sie sogar zu ihrer Zofe machte. Da steckte mehr dahinter. Das hatte er selbst gesehen. Aber auch Chorherr Konrad Besserer hatte bislang nichts herausfinden können ...
Der Brief, in dem sich Magdalena für Katharina einsetzte, war ein weiteres Indiz für dieses besondere Verhältnis. Zuerst hatte er nicht sonderlich auf den Klatsch geachtet, den Besserer bei seinen Besuchen von sich gegeben hatte. Der Segginger Chorherr war als Spion zwar nützlich, aber ansonsten nicht sonderlich intelligent. Doch so langsam war Murgel überzeugt, dass hinter dieser Katharina mehr steckte als ihr hübsches Gesicht und ihre jugendliche Formbarkeit. Wenn er sie in die Hand bekäme, dann hätte er vielleicht auch Magdalena von Hausen in der Hand. Die einst so fügsame, brave Stiftsdame hatte sich als Äbtissin schon viel zu selbstständig gemacht. Eigentlich hatte er gedacht, in Magdalena von Hausen auf dem Stuhl der Äbtissin ein williges Werkzeug zu haben. Sie, die Reichsfürstin, hätte ihm den Weg bis hin zu Ferdinand von Habsburg und seinem Bruder Karl V. ebnen können. Und von da aus weiter bis zum Papst, vielleicht sogar bis auf den Heiligen Stuhl selbst. Der König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen
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