Zeit des Lavendels (German Edition)
Huldreich auf die Welt gekommen. Katharina hatte Genoveva den Schweiß von der Stirn gewischt, heißes Wasser geholt, ihre Hand gehalten, der Hebamme die Tücher gebracht und den aufgeregten Vater beruhigt. Als der Kleine dann kam, mitten in einem Schrei und einem Schwall von Blut, war sie fast ebenso glücklich und fast ebenso erschöpft gewesen wie die Mutter selbst. Und völlig verzaubert von dem Wunder, das sie da miterlebt hatte. Seit dieser Zeit gab es ein starkes Band zwischen ihr und Genoveva. Nein, sie wollte keinen Tag missen.
»Also, das ist unsere Katharina«, dröhnte hinter ihr der fröhliche Bariton Rischachers. »Ich wüsste nicht, wie wir ohne sie fertig werden sollten. Na, kleine Dame, schmeckt der Brei, den du da so heftig rührst? Du wirst dich doch nicht etwa verliebt haben? Ich hoffe, der Brei ist nicht versalzen.« Prompt wanderte Rischachers derber Zeigefinger in den Topf.
»Meister Rischacher, wenn Ihr nicht schon ein erwachsener Mann wärt, müsste man Euch auf die Finger klopfen. Wartet nur, das werde ich Frau Genoveva sagen, dass Ihr den Kindern den Brei wegesst.«
Rischacher lachte dröhnend. »Ja gibt es denn auch etwas für Erwachsene? Ich habe einen Gast mitgebracht. Den müssen wir schließlich bewirten. Wo ist denn meine Frau?«
Katharina wischte sich schnell die mehligen Hände an der Schürze ab und drehte sich um. Der Anblick des Gastes traf sie wie ein Schlag. Jemanden wie ihn hatte sie noch nie gesehen. Nicht eigentlich schön, aber Augen wie blaues Glas, durch das die Sonne strahlt. Und sie schauten sie an, als wäre sie etwas ganz Besonderes. Katharina stand nur da und starrte, brachte kein Wort heraus. Dann wurde sie unvermittelt feuerrot.
Bei allen Heiligen, der Mann war ganz offensichtlich ein Diakon. Und sie himmelte ihn an wie ein dummes kleines Mädchen.
»Frau Genoveva ist oben mit dem Kleinen«, brachte sie gerade noch heraus. Dann drehte sie sich abrupt wieder um und begann erneut wild im Brei zu rühren. Sie hielt sich am Löffel fest wie eine Ertrinkende an einem Baumstamm. Hoffentlich hatte niemand etwas von ihrer Verwirrung bemerkt. Glücklicherweise kamen der kleine Gotthilf und sein älterer Bruder Thomas in die Küche gestürmt. Das heißt, Thomas und Gotthilf stürmten, und der kleine Markus hoppelte in ihrem Schlepptau hinterher, so schnell er auf seinen Beinchen konnte. Dabei schrie er Zeter und Mordio, ohne auch nur einmal Luft zu holen.
Rischacher lachte wieder und wandte sich an seinen Gast. »Und das ist meine Brut. Wie Ihr seht, haben sie das Temperament ihres Vaters geerbt.«
Katharina schnappte sich den brüllenden Markus und wischte ihm mit ihrer Schürze das Rotznäschen ab. Dankbar vergrub sie ihr Gesicht in seinem weichen Kleinkinderbauch. So brauchte sie den Fremden nicht anzuschauen.
»Na, besonders gesprächig bist du ja heute nicht, Katharina. Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen? Diese jungen Mädchen, ständig mit dem Kopf bei irgendwelchen romantischen Liebesgeschichten«, neckte Rischacher sie. Wieder fühlte Katharina, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Doch da sie sich immer noch mit dem kleinen Markus beschäftigte, konnte das glücklicherweise niemand sehen. Auch die Antwort blieb ihr erspart. Die Hausfrau Genoveva kam mit dem Kleinsten im Arm die Treppe herunter.
»Genoveva, da bist du ja. Von Katharina bekommen wir heute nichts zu essen, sie ist wohl verliebt«, flachste Rischacher gutmütig. »Dabei haben wir doch einen Gast. Liebste Frau, darf ich dir Diakon Thomas Leimer vorstellen. Er kommt gerade aus Zürich und bringt uns Nachricht vom Bullinger. Als ich das hörte, musste ich gleich an deine Schwester denken. Zwischen dem Bullinger und Magdalena gibt es doch einen regen Briefwechsel ... Meinst du, wenigstens von dir bekommen ein darbender Diakon und ein hungriger Ehemann etwas zu essen?«
Lachend klopfte Rischacher seinem Gast auf die Schulter. »Kommt, Diakon, mit den Weibsleuten ist heute ja doch nichts anzufangen. Lassen wir sie das Mahl zubereiten, und wir gehen derweil in die Stube. Dort erzählt Ihr mir, wie sich Heinrich Bullinger als Nachfolger Zwinglis in Zürich so anstellt. Und überhaupt. Wie kommt's, dass ein Mann der Kirche wie Ihr Ketzern wie uns Briefe eines anderen Ketzers bringt? Das müsst Ihr mir schon genauer erklären.« Rischachers Mund lachte weiter, als er das sagte. Auch die Lachfältchen um seine Augen blieben. Doch Katharina sah genau den kritischen Blick, mit dem er den Gast
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