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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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hatte, was sie tun konnte, sank Katharina völlig erschöpft auf den Küchenschemel und legte die zitternden Hände auf die Tischplatte neben Konz. Eine ganze Weile saß sie nur da. Dann legte sie den Kopf in die Arme und begann zu schluchzen. Sie zitterte am ganzen Leib. Hin und wieder hob sie die verweinten Augen und blickte mit einem herzzerreißenden Ausdruck der Angst in das kalkweiße Gesicht ihres Mannes, von dem sich der schwarze Bart in starkem Kontrast abhob.
    Wortlos füllte Genoveva einen zweiten Becher mit Wein und stellte ihn neben Katharina. Stumm schaute sie eine Weile auf die beiden, die verzweifelte junge Frau und den bewusstlosen Mann. Katharinas wildes Weinen wurde langsam leiser. Aber nicht, weil ihr Kummer kleiner geworden wäre. Sie schluchzte wie ein hilfloses, verlorenes Kind, das schon so lange geweint hat und zu dem niemand gekommen war, um es zu trösten. Ein leises, kaum hörbares Wimmern. Es war ein Laut von so abgrundtiefer Verlorenheit, dass Genoveva ein Schauer über den Rücken lief. Sie konnte nur ahnen, dass sich ein Drama hinter den Geschehnissen verbergen musste. Noch nie hatte sie einen Menschen gesehen, der so hoffnungslos wirkte. Am liebsten hätte sie Katharina in die Arme genommen wie eine Mutter ihr kleines Kind.
    Doch sie wusste, auch dafür war jetzt nicht die Zeit. Katharina war zu sehr in ihrer Verzweiflung versunken, um überhaupt etwas anderes zu bemerken als ihren Kummer und ihren Mann. Sie wirkte wie jemand, der eigentlich schon gestorben ist und nur noch lebt, weil er eine letzte Aufgabe zu erfüllen hat.
    Genoveva riss sich zusammen. Es gab eine Zeit für Trost und eine für Heilung. Solange die Seele betäubt war, konnte sie Katharina nicht helfen, das fühlte sie. Deswegen galt ihr nächster praktischer Gedanke dem Mann auf dem Küchentisch. Erst wenn es ihm besser ging, würde in Katharinas Seele jener Funken Hoffnung erwachen, der das Weiterleben möglich machte. Dann war Zeit zu reden. Dann war Zeit für Trost. Dann war die Zeit, diesen Funken am Leben zu erhalten und stärker werden zu lassen, einen Weg zu suchen, wie es weiterging.
    »Ich hole Thomas. Wir müssen Konz auf dein Bett legen«, sagte Genoveva ruhig, obwohl auch ihr die Knie zitterten. Katharina nickte nur. Sie war unfähig zu sprechen.
    Es dauerte drei Tage, bis sicher war, dass Konz Jehle überleben würde. Die Wunde war eigentlich nicht allzu schlimm. Das Messer war zwischen den Rippen in die linke Brustseite von Konz eingedrungen, ganz in der Nähe der Achselhöhle. Es hatte dabei wohl eine Blutbahn verletzt. Glücklicherweise hatte der Stich das Herz nicht erreicht. Obwohl die Richtung der Stichwunde darauf hindeutete, dass Thomas Leimer genau dorthin gezielt hatte. Denn der Wundkanal führte schräg nach unten. Nur das unwillkürliche Heben des Arms zur Abwehr hatte den Sohn des Gehenkten vor einem jämmerlichen Tod bewahrt. Und Thomas Leimer hatte sich nicht die Zeit genommen, sein Werk zu vollenden. Doch er wusste wohl mit dem Messer umzugehen, so viel vermochte Katharinas Geist nach und nach zu erfassen; mit jedem Tag, an dem sie die Wunde neu verband, wurde ihr das klarer. Sie dankte Gott, dass sie nicht auch noch den Tod ihres Mannes auf ihr Gewissen geladen hatte.
    Konz hatte viel Blut verloren. Immer wieder flößte Katharina ihm vorsichtig gewürzten warmen Rotwein, verdünnt mit Wasser und einem Zusatz von Melisse, Baldrian, Bellwurz und Mohn ein, um ihn zu stärken. Konz war zwar nicht mehr bewusstlos, aber er dämmerte in fiebrigen Albträumen vor sich hin. Katharina wusste, wenn dieses Fieber anhielt, wenn sich die Wunde entzündete, würde er sterben. So wich sie kaum einen Moment von seiner Seite.
    Genoveva Rischacher hatte es stillschweigend übernommen, sich um die kleine Anna und ihren Bruder Thomas zu kümmern. Das Baby verlangte immer wieder nach seiner Mutter, mochte sich nicht mit dem Honigtuch oder dem Brei aus verdünnter, gesüßter Kuhmilch und Weizenkörnern zufrieden geben, mit der Genoveva versuchte, es zu füttern. So brachte sie die Kleine in regelmäßigen Abständen zu Katharina, damit sie sie an die Brust legen konnte. Das waren die einzigen Momente, in denen die junge Frau ihren Blick einmal von ihrem fiebernden Mann abwandte. Einzig ihre kleine Tochter mit ihrer unbändigen Forderung nach Nahrung und Leben konnte sie für Momente von ihrer Pflicht ablenken.
    Einmal, als Genoveva Katharina Brot mit Käse brachte, sah sie die Mutter mit ihrem Kind, von

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