Zeit des Lavendels (German Edition)
weitem ein Bild des Friedens. Die Kleine schlief friedlich an Katharinas Brust. Doch als sie näher kam, bemerkte sie, dass das ruhige Gesicht der jungen Frau nur eine Maske war. Aus den weit aufgerissenen, grünen Augen flossen die Tränen auf das schlafende Kind. Katharina gab keinen Laut von sich. Genovevas Seele krümmte sich vor Mitgefühl bei diesem Anblick. Noch immer wusste sie nicht, was geschehen war. Doch sie betete zur Jungfrau Maria und allen Heiligen, die ihr einfielen, diese kleine Familie zu beschützen und sie von ihrem Leid zu erlösen.
Wie üblich rührte Katharina das Essen kaum an. Sie trank nur hin und wieder etwas Wasser oder nahm einige Schlucke des gewürzten Weines zu sich. Sorgsam löste sie jeden Tag die Verbände um die Brust ihres Mannes in minutenlanger, geduldiger Arbeit, tränkte und weichte sie mit lauwarmem Kamille-und Knoblauchsud auf, um den Schorf, der sich gerade gebildet hatte, nicht zusammen mit den Leinenstreifen abzureißen.
Doch sie wusste, sie musste die Wunde unbedingt so sauber wie möglich halten. Immer wieder wusch sie den Körper des Kranken mit kaltem Melissenwasser, um das Fieber zu senken. Sie machte ihm kalte Wickel um die Waden, erneuerte sie immer wieder, Tag und Nacht.
Dann endlich, in der dritten Nacht, schien das Fieber zurückzugehen. Der Hüne begann ruhiger zu atmen, warf sich nicht mehr so unruhig auf seinem Lager hin und her. Immer wieder hatte Katharina ihn festhalten und davor bewahren müssen, sich im Delirium die Verbände abzureißen.
Und zum ersten Mal nach all diesen Stunden schlug er die Augen auf und blickte ihr klar und direkt ins Gesicht. Zuerst spielte ein kleines Lächeln um seinen Mund, als er sie sah. »Wo bin ich?«, murmelte er. Doch dann wurde der Blick seiner liebevollen Augen hart. Katharina fühlte sich förmlich hineingezogen in das Dunkel, das hinter diesen so vertrauten, geliebten Augen lauerte, in einen Abgrund von Schmerz, verratener Liebe und verlorenem Vertrauen. Dann schlossen sich seine Lider wieder, und der Mann glitt hinüber in einen tiefen Schlaf.
Katharina wusste, Konz war gerettet. Und sie war verloren. Denn er erinnerte sich. Niemals in ihrem Leben würde sie diesen Blick vergessen. Er hatte sich in ihre Seele eingegraben wie ein Brandeisen in die Haut eines Tieres.
Konz Jehle sprach nicht wieder mit seiner Frau. Wann immer sie ihn versorgte, seinen Verband erneuerte oder ihn wusch, wandte er den Kopf zur Seite. Alle ihre Versuche, mit ihm zu reden, schlugen fehl. Er antwortete einfach nicht, sah sie an mit dem Blick eines Fremden, der sie schon nach den ersten Worten zum Verstummen brachte.
Aber er aß wenigstens. Erst Hühnerbrühe, die Genoveva gekocht hatte, dann Brei, versetzt mit Brühe, und schließlich gelang es ihm auch, feste Nahrung bei sich zu behalten. Er wurde schnell stärker. Wenn Genoveva hereinkam, schenkte er ihr manchmal ein kleines, trauriges Lächeln, das Katharina schier das Herz zerriss. Wie sehr sie diesen Mann liebte, der ihr Sicherheit und Geborgenheit geschenkt hatte! Wie sehr vermisste sie seine schier unerschöpfliche Warmherzigkeit und Liebe. Doch all das schien verschwunden, unerreichbar hinter einer Mauer, die er mit jedem Tag höher zwischen ihnen errichtete. Oh Gott, sie hatte nie gewusst, was ihr dieser Mann bedeutete. Er hatte einfach zu ihrem Leben gehört. Und nun war dort, wo einst all dieses Vertrauen zwischen ihnen geherrscht hatte, nur ein leerer, kalter Blick aus braunen Augen.
Doch mit jedem Tag, den er stärker wurde, hoffte Katharina weiter. Sie ließ ihn noch immer selten allein, schlief entweder auf dem Stuhl neben dem Bett oder auf dem Fußboden auf einem Strohsack, wenn sie sicher war, dass ihrem Mann nichts fehlte. In der zehnten Nacht sank sie völlig erschöpft auf ihr einfaches Lager, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Konz ruhig atmete und seine Stirn auch nicht das kleinste Anzeichen möglicherweise wieder aufkommenden Fiebers zeigte. Die langen Nächte in halb wachem Schlaf, in denen sie immer wieder auf einen Laut aus dem Bett gehorcht hatte, um beim kleinsten Geräusch sofort aufzuspringen, forderten ihren Tribut. An Leib und Seele völlig erschöpft, glitt sie hinüber in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte, schien schon die Sonne durch das Kammerfenster. Erschrocken richtete Katharina sich auf. Mein Gott, es musste mindestens zehn Uhr sein. Ihr nächster Gedanke galt ihrem Mann. Doch das Bett war leer.
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