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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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ertragen, dich immer zu sehen, mich ständig nach deiner Nähe zu verzehren und dich nicht berühren zu können. Doch wie jeder Mann sehnte ich mich nach der zärtlichen Nähe der Wärme einer Frau. So heiratete ich ein zweites Mal. Aber du warst es, immer nur du, nach der ich suchte. Katharina, kannst du mir verzeihen?«
    Ich sah Tränen in seinen Augen, und meine Abwehr war dahin, die Mauer stürzte ein mit einem Donnerschlag. Ich vergaß meine Erfahrungen mit ihm, vergaß alles, was geschehen war, vergaß meinen Mann, meine Pflichten. Oh ja, ich hätte es besser wissen müssen. Doch der Damm war geöffnet. Er hatte gesagt, was ich hören wollte, wonach ich mich all die Jahre gesehnt hatte. Und ich glaubte ihm. Weil ich ihm glauben wollte, weil es so schön war, diese Worte zu hören. Auch ich weinte, schluchzte verzweifelt, konnte endlich all das Leid mit ihm teilen, das ich durchlitten hatte. Wer war ich denn schließlich, zu urteilen? Hatte nicht auch ich einen Menschen verraten, der es nicht verdiente? War nicht auch ich eine Schuldige?
    Er nahm mich in seine Arme. Zuerst ganz sanft, wie ein Freund, der nur trösten will. Hätte er mehr gezeigt, ich glaube, ich wäre noch in diesem Moment geflohen. Aber er war schlau. Nur ganz allmählich wurden seine Berührungen intensiver, wanderte der Mund, mit dem er mich zuerst nur aufs Haar geküsst hatte, weiter nach unten. Mit jeder kleinen Zärtlichkeit bekam ich Sehnsucht nach mehr. Ich zitterte wie Espenlaub, klammerte mich an ihn wie eine Ertrinkende. Bis er aufstand, mich an sich zog, mich auf die Arme nahm und mich nach oben in meine Kammer trug. Da konnte ich nicht mehr fliehen. Selbst meine kleine Tochter, die Tochter von Konz und mir, die friedlich dort in ihrer Wiege ihren Mittagsschlaf hielt, konnte mich nicht mehr aufhalten. In diesem Moment war ich nicht mehr fähig, klar zu denken. Ich wollte ihn, wollte endlich wieder ihn. Mit jeder Faser meines Körpers. Meinen Verstand hatte ich zum Schweigen gebracht. Und als er in mich eindrang, da zersprang die gläserne Fessel meiner Seele in tausend Stücke. Ich fühlte mich frei, getragen, endlich wieder lebendig nach all den Jahren des Vegetierens. Da war sie wieder, die wilde, jauchzende Katharina, die das Leben in beide Hände nahm. Und das Leben, das war er.
    Ich verdrängte das Später. Wollte nichts davon wissen, wollte nur diesen Augenblick, ihn festhalten für den Rest meines Lebens, ihn in mir, auf mir, neben mir spüren, seinen Geruch in mich einsaugen. Den Geruch des Mannes, den ich nicht lieben sollte und den ich doch nie aufgehört hatte zu lieben. Zum ersten Mal seit Jahren spürte ich mich wieder, fühlte ich mich wieder lebendig, ohne diesen grauen Schleier der Traurigkeit. Mein Unterbewusstsein flüsterte mir zu, dass der Preis für diese Stunden hoch sein würde. Doch ich wollte es nicht wissen. Später würde ich ihn zahlen, später, aber nicht jetzt.
    Tag um Tag traf ich mich mit Thomas Leimer, wann immer es möglich war. Wir liebten uns in Hinterhöfen, dunklen Ecken, wenn es dämmerte. Nur einmal noch bot sich für uns die Gelegenheit, in einem richtigen Bett zusammen zu sein.
    Diesmal war es das Ehebett von Thomas Leimer und Dorothea Offenburg in jenem prachtvollen Haus am Rheinsprung. Seine »Frau« war zu einer Freundin gegangen. Wir schlichen uns über die Treppe in den oberen Stock wie die Diebe, ohne auch nur eine Kerze anzuzünden, damit Dorotheas Zofe nichts merkte. Sie diente ihrer Herrin seit vielen Jahren und war geblieben, obwohl es keinen Lohn mehr gab. Eigentlich hätte ich mich schämen müssen, überhaupt in solch eine Situation zu geraten. Doch ich war längst jenseits der Scham. Nichts zählte. Ich lebte nur noch für jene kurzen, leidenschaftlichen Augenblicke mit Thomas Leimen Jeder vernünftige Gedanke, die Zuneigung zu meinem Mann, die Liebe zu meinen Kindern — alles war wie weggewischt, jenseits jener Wand angesiedelt, die meine Wirklichkeit von der der anderen trennte. Wenn ich bei ihm war, existierte die »normale« Welt nicht mehr. Alles versank im Nebel jenseits der Grenzen unserer Insel, die ich aus meinen Gefühlen baute. Ich hätte wissen müssen, dass die Wirklichkeit sich nicht aussperren lässt. Und wenn sie dann wieder über die Menschen hereinbricht, dann tut sie es voller Härte, dann ist sie wie reißendes Wasser, das selbst die dicksten Steine bewegt.
    Ich hatte meine Brosche verkauft, das einzige Schmuckstück, das ich besaß. Magdalena von Hausen

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