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Zeit des Mondes

Zeit des Mondes

Titel: Zeit des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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drängte mich zwischen den Teekisten hindurch an seine Seite, hielt ihm die Schachtel hin, und er angelte sich mit den Fingern das Essen heraus. Er schlürfte und leckte und kaute.
    „Nektar“, flüsterte er.
    „Wie hast du von 27 und 53 erfahren?“, sagte ich.
    „Ernies Lieblingsessen. Hörte ihn immer am Telefon. ‚27 und 53‘, sagte er meistens. ‚Bringen Sie es. Bringen Sie es schnell.‘“
    „Du warst im Haus?“
    „Im Garten. Hab ihn durchs Fenster beobachtet. Hab ihm zugehört. Es ging ihm nie sehr gut. Konnte nie alles aufessen. Fand fast immer, was er übrig gelassen hatte, am nächsten Morgen im Mülleimer. 27 und 53. Der süßeste Nektar. Hübsche Abwechslung zu Spinnen und Mäusen.“
    „Hat er dich gesehen? Wusste er, dass du da warst?“
    „Konnte ich nie herauskriegen. Schaute immer zu mir her, aber schaute direkt durch mich hindurch, als ob ich nicht da sei. Armer Alter. Dachte vielleicht, ich sei ein Produkt seiner Einbildung.“
    Er ließ eine lange klebrige Schnur aus Schweinefleisch und Bohnensprossen auf seine blasse Zunge gleiten.
    Er schaute mich mit seinen blutunterlaufenen Augen lange an.
    „Glaubst du, ich bin ein Produkt der Einbildung?“
    „Weiß nicht, was du bist.“
    „Dann ist es gut.“
    „Bist du tot?“
    „Ha!“
    „Ja?“
    „Ja. Die Toten sind bekannt dafür, dass sie oft 27 und 53 essen und unter Arthur Itis leiden.“
    „Brauchst du mehr Aspirin?“
    „Noch nicht.“
    „Irgendetwas anderes?“
    „27 und 53.“
    Er fuhr mit dem Finger in der Schachtel herum und schleckte so die letzten Tropfen der Soße weg. Er leckte sich mit der blassen Zunge die blassen Lippen.
    „Das Baby ist im Krankenhaus“, sagte ich.
    „Ein Helles“, sagte er.
    „Helles?“
    „Helles Bier. Etwas, was Ernie auch immer dahatte. Etwas, was er auch nie ganz austrinken konnte. Augen, größer als der Bauch. Habe ich auch immer aus dem Mülleimer gegraben, solange die Flasche noch nicht umgekippt und noch nicht alles ausgelaufen war.“
    „Okay“, sagte ich.
    „Helles Bier. Süßester Nektar.“
    Er rülpste, würgte und lehnte sich nach vorn. Ich beleuchtete mit der Taschenlampe die großen Wölbungen auf seinem Rücken unter der Jacke.
    „Ich würde dir gern Besuch mitbringen“, sagte ich, sobald er wieder ruhig dasaß.
    „Jemand, der dir sagen soll, dass ich wirklich hier bin?“
    „Sie ist nett.“
    „Nein.“
    „Sie ist klug.“
    „Niemand.“
    „Sie wird wissen, wie man dir helfen kann.“
    „Ha!“
    Er lachte, aber er lächelte nicht.
    Ich wusste nicht, warum, aber ich fing wieder an zu zittern.
    Er schnalzte mit der Zunge, sein Atem rasselte und er seufzte.
    „Ich weiß nicht, was tun“, sagte ich. „Die Garage wird verdammt noch mal zusammenfallen. Du bist krank, hast diese blöde Arthritis. Du isst nicht richtig. Ich wache auf und denke an dich, und es gibt andere Dinge, an die ich denken müsste. Das Baby ist krank, und wir hoffen, dass es nicht sterben wird, aber möglich wäre es. Es wäre möglich.“
    Er klopfte mit den Fingern auf den Garagenboden und streichelte die Fellbälle, die dort lagen.
    „Sie ist nett“, sagte ich zu ihm. „Sie wird es niemandem sagen. Sie ist klug. Sie wird wissen, wie man dir helfen kann.“
    Er schüttelte den Kopf. „Verfluchte Kinder“, sagte er.
    „Sie heißt Mina“, sagte ich.
    „Bring die ganze Straße mit“, sagte er. „Bring die ganze verdammte Stadt mit.“
    „Bloß Mina. Und ich.“
    „Kinder.“
    „Wie soll ich dich nennen?“
    „Hä?“
    „Was soll ich ihr sagen, wie du heißt?“
    „Niemand. Herr Niemand. Herr Knochen und Herr Habe Genug und Herr Arthur Itis. Jetzt verschwinde und lass mich allein.“
    „Also gut“, sagte ich.
    Ich stand auf und quetschte mich zwischen den Teekisten hindurch. Ich zögerte.
    „Wirst du an das Baby denken?“, sagte ich.
    „Hä?“
    „Wirst du an das Baby im Krankenhaus denken? Wirst du an das Baby denken, dass es gesund wird?“
    Er schnalzte mit der Zunge.
    „Bitte“, sagte ich.
    „Ja. Verflixt noch mal, ja.“
    Ich bewegte mich auf die Tür zu.
    „Ja“, hörte ich ihn noch einmal sagen. „Ja, werde ich.“
    Draußen hatte der Tag schon fast die Nacht abgelöst. Die Amsel saß auf dem Garagendach und schmetterte ihr Lied. Schwarz und Rosa und Blau mischten sich am Himmel. Ich streifte Spinnweben und Schmeißfliegen von mir ab. Als ich zum Haus zurückkehrte, hörte ich das Huhu.
    Huhu. Huhu huhu huhu.
    Ich schaute zum Himmel über den Gärten und sah

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