Zeit des Mondes
durchgenommen?“
„Ich glaube.“
Sie beobachtete mich.
„Irgendwann werde ich dir etwas über ein Lebewesen, das Archäopteryx genannt wird, erzählen“, sagte sie. „Wie geht es dem Baby?“
„Das werden wir heute Nachmittag besuchen. Aber ich glaube, es wird gesund werden.“
„Gut.“
Sie legte die Hände zusammen, blies zwischen ihre Daumen und brachte den Ton eines Kauzes hervor.
„Ausgezeichnet!“, sagte sie. „Ausgezeichnet!“
„Ich habe in der vergangenen Nacht wie ein Kauz geschrien“, sagte ich. „Als es gerade dämmerte, ganz früh am Morgen.“
„Ja?“
„Hast du da aus dem Fenster geschaut? Hast du auch den Kauzschrei nachgemacht?“
„Ich bin nicht sicher.“
„Nicht sicher?“
„Ich träume. Ich schlafwandle. Manchmal tue ich etwas wirklich und ich denke, es sei nur ein Traum. Manchmal träume ich von etwas und ich denke, es sei wirklich.“
Sie starrte mich an.
„Letzte Nacht habe ich von dir geträumt“, sagte sie.
„Wirklich?“
„Ja, aber das ist nicht wichtig. Du hast mir gesagt, du hättest ein Geheimnis. Etwas, was du mir zeigen wolltest.“
„Ja.“
„Dann zeig es mir.“
„Nicht jetzt. Heute Nachmittag vielleicht.“
Sie blickte in mich hinein.
„Du warst draußen“, sagte sie. „Das Licht war unheimlich. Du warst sehr blass und voller Spinnweben und Fliegen. Du hast geschrien, ganz genau wie ein Kauz.“
Wir starrten einander an.
Papa begann zu rufen: „Michael! Michael!“
„Wir sehen uns heute Nachmittag“, flüsterte ich.
18
„Mrs Dando war am Telefon“, sagte Papa auf dem Weg ins Krankenhaus. „Sie hat nach dir gefragt.“
„Nett von ihr.“
„Sie sagte, deine Schulfreunde wollen, dass du wiederkommst.“
„Ich treffe sie am Sonntag.“
„Vermisst du denn die Schule nicht?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht.“
„Vielleicht könntest du bald wieder hingehen? Ich möchte nicht, dass du zu viel verpasst.“
„Ich lerne eine Menge von Mina. Sie weiß über vieles Bescheid, zum Beispiel über Vögel und Evolution.“
„Ah, das ist’s. Und natürlich hast du die chinesische Speisekarte auswendig gelernt.“
Das Baby lag immer noch im Glaskasten, aber die Drähte und Schläuche steckten nicht mehr in ihm.
Mama hob den Deckel ab und ich durfte meine Schwester auf den Knien halten. Ich versuchte zu spüren, ob sie schon größer und stärker wurde. Sie rutschte hin und her und ich spürte die langen dünnen Muskeln in ihrem Rücken, als sie sich streckte. Sie nahm meinen Finger in ihre Faust, versuchte ihn fest zusammenzudrücken und öffnete weit ihre Augen.
„Schau“, sagte Papa. „Sie lächelt dich an.“
Aber es schien mir kein Lächeln zu sein.
Ein Arzt kam, um uns zu begrüßen. Doktor Blume.
„Macht sie Fortschritte?“, sagte Papa.
„Sie hat es eilig“, sagte der Doktor.
„Dann können wir sie bald wieder mitnehmen?“
Doktor Blume zuckte mit den Schultern. Er berührte die Wange des Babys.
„Wir müssen sie noch beobachten“, sagte er. „Vielleicht nur noch ein paar Tage.“
Er lächelte mich an.
„Mach dir keine Sorgen, Junge“, sagte er.
Ich berührte die Schulterblätter des Babys, spürte, wie winzig und beweglich sie waren. Ich spürte das dünne Rasseln seines Atems.
„Sie wird bald im Garten herumrennen“, sagte Mama. Sie lächelte, aber sie hatte Tränen in den Augen.
Sie nahm mir das Baby ab und cremte mir wieder die Haut ein.
„Du siehst müde aus“, sagte sie. Sie schaute Papa an. „Seid ihr zu lange aufgeblieben?“
„Stimmt genau“, sagte Papa. „Wir haben uns die ganze Nacht, jede Nacht Videos angesehen und chinesische Fertiggerichte gegessen. Stimmt’s, Junge?“
Ich nickte. „Ja, stimmt.“
Ich ging auf den Gang hinaus. Ich fragte eine Schwester, ob sie wisse, wo die Leute mit Arthritis hinkämen.
Sie sagte, meistens auf die Station 34 im obersten Stock. Und dass es wirklich ein dummer Ort für Leute mit schlechten Knochen sei, die solche Probleme mit dem Gehen und dem Treppensteigen hätten. Ich sprang in den Lift und fuhr hinauf.
Als ich den Lift verließ, kam eine Frau an mir vorbei, die eine Gehhilfe schob. Sie blieb stehen, schnaufte und grinste.
„Geschafft“, keuchte sie. „Einmal in der Station auf und ab und dreimal um den Treppenabsatz herum! Total geschafft!“
Sie stützte sich auf die Gehhilfe und schaute mir in die Augen. „Aber bald werde ich tanzen.“
Ihre Hände waren gekrümmt und die Knöchel
Weitere Kostenlose Bücher