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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
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die dazu in der Lage waren, böse Energien zu vertreiben und Bierwagenfahrer, die mehrere hundert Kilometer entfernte Wasseradern aufgrund eines Bettumrisses auspendeln konnten – mit diesem Brimborium wollte ich mich nicht anfreunden. Und wo zum Teufel war dieser Engelstyp gewesen, als ich mit neun von einem Klettergerüst gefallen war und mir den Fuß gebrochen hatte oder während meiner Wochenbettdepression und der Panikattacken? Ich blickte auf meine Armbanduhr. „Es ist gleich neun. Lass uns hineingehen! Ian wundert sich bestimmt, wohin du verschwunden bist. Ihr wolltet doch essen gehen. Und ich muss nach Paul sehen.“
    „Es ist wahrscheinlich besser. Außerdem friere ich hier gleich fest.“ Meine Mutter sprang von ihrem Fass herunter und ging zur Tür. Doch sie drehte sich noch einmal nach mir um. „Fee?“
    „Ja.“
    „Nur weil dein Vater und ich uns trennen, heißt das nicht, dass wir keine Familie mehr sind.“
    Hervorragend! Ich schloss die Augen. Sie hatte sich also schon entschieden.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte und aus dem Fenster schaute, traute ich meinen Augen kaum. Dicke Flocken tanzten durch die Luft und eine puderige weiße Schicht hatte sich über Wiesen, Bäume und Sträucher gelegt.
    „So viel zum Thema Golfstrom“, seufzte Milla. Sie hängte ihre Bluse in den Schrank und holte stattdessen einen dicken Fleecepullover daraus hervor.
    „Ian hat mir erzählt, dass in Irland die Temperaturen nur selten unter acht Grad fallen. Dieser Winter ist untypisch kalt, meint er“, verteidigte ich mich.
    Und dieses Wetter musste unnormal sein, denn auf der Straße schlitterten die Autos wild durcheinander und unten auf der Kreuzung wurde ein großer BMW aus dem Graben gezogen. Kinder hatten die Schlitten ausgepackt, einer unserer Nachbarn rutschte mit Skiern an den Füßen mehr schlecht als recht über die zart beschneite Wiese und der Shop im Ort blieb den ganzen Tag über geschlossen. Dabei war die Schneeschicht kaum einen halben Zentimeter hoch!
    Auch Ian und Cullen flippten total aus. Es schneite! Nicht nur zarte Flöckchen, die bereits geschmolzen waren, sobald sie auf dem Boden auftrafen – das gab es öfter –, sondern richtigen Schnee, der Irland zumindest ansatzweise in so etwas Ähnliches wie eine Winterlandschaft verzauberte.
    „Siehst du das? Ist das wie in Deutschland? Fühlt sich das an wie zu Hause?“, fragte mich Michael, der Getränkelieferant, der es trotz der widrigen Wetterbedingungen geschafft hatte, sich die vier Kilometer bis nach Kylebrack vorzukämpfen, um Ians Vorräte aufzufüllen. Und er war sehr stolz, als ich ihm versicherte, dass in Irland momentan fast alpine Verhältnisse herrschten.
    Kurz darauf sah ich, wie er mit Ian darüber diskutierte, wann es das letzte Mal so heftig geschneit hatte, ob vor vier oder vor fünf Jahren. Nach einiger Zeit einigten sie sich, dass es schon sehr lange her war. Paul war über die weiße Pracht ebenso entzückt wie die Iren. Fasziniert beobachtete er die eisigen Gebilde auf ihrem Weg zur Erde und versuchte, sie zu fangen.
    „Da!“, stellte er verwundert fest und hielt Milla seine Handfläche hin, in der seine Beute zu einer feuchten Pfütze zerschmolzen war.
    Die beiden standen auf dem Parkplatz der Hill Bar und ließen sich die dicken Flocken um die Ohren schneien. Als er mich bemerkte, krähte er entzückt auf.
    „Da, da!“, schrie er und stach mit seinem kurzen Zeigefinger wild um sich.
    „Schnee, das ist Schnee“, sagte ich und ging in die Hocke, um mich auf seine Augenhöhe zu begeben. „Kannst du das sagen? Schnee.“
    „Gaga“, antwortete Paul ernsthaft.
    „So ähnlich“, meinte ich und musste grinsen.
    Paul lächelte zurück und dann – ich konnte es kaum glauben – löste er sich von Millas Bein und kam auf wackeligen Beinen auf mich zu gelaufen. Erst einen Schritt, zwei, drei, beim sechsten warf er sich in meine Arme und biss in die Kapuze meiner Jacke. Seine Art, mich zu küssen. Mir traten die Tränen in die Augen und ich lobte ihn überschwänglich.
    Als Paul sich das erste Mal vom Rücken auf den Bauch drehte, war ich in Berlin auf einer Modenschau gewesen. Als Paul anfing zu krabbeln, schnitt ich gerade einen Bericht über einen Haufen verzogener Teenies, die auf einer Jacht über das Mittelmeer segelten. Aber bei seinen ersten Schritten war ich dabei und auch den ersten Schnee durfte ich mit ihm gemeinsam erleben. Ich wollte nach dem Handy greifen, um Sam von der freudigen Nachricht zu

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