Zeit für Eisblumen
an. Und vor ein paar Tagen hat es geschneit. So etwas kommt hier nur alle paar Jahre vor. Liegt zu Hause auch Schnee?“
„Ja. Aber im Moment taut es gerade.“
„Bei uns ist auch alles weg“, plapperte ich verzweifelt weiter. Ich hatte Angst, dass er mich nach Milla fragen würde, wollte die Wahrheit von ihm fernhalten. „Und du wirst es nicht glauben. Ich bin ein paar Mal ausgeritten. Auf einem Pferd, das Harry heißt. Ich hätte nie gedacht, dass mir Reiten Spaß macht.“
„Wisst ihr, wann ihr nach Hause fliegt?“, fragte er.
„Bald. Wahrscheinlich in ein paar Tagen“, antwortete ich zögernd. Stille am anderen Ende der Leitung.
„Ich ruf dich an, wenn ich Genaueres weiß“, fügte ich hinzu.
„Soll ich euch vom Flughafen abholen?“
„Das wäre lieb von dir.“
„Und deine Mutter? Geht es ihr gut?“
„Ja. Aber warum fragst du sie nicht selbst? Ist es so schlimm zwischen euch?“
„Wir schaffen das schon.“ Er legte auf.
Ich ging nach draußen, wo Milla auf dem kahlen Stück Wiese hinter dem Pub stand und zusah, wie Paul mit ein paar Steinen spielte.
„Was ist?“, fragte sie.
„Ich habe mit Papa gesprochen“, sagte ich.
„Was wollte er?“ Ihre Gesichtszüge froren ein.
„Wissen, wann wir heimkommen. Warum hat er mich angerufen? Er telefoniert normalerweise niemals mit mir. Sprecht ihr nicht mehr miteinander?“
„Wir hatten Streit.“
„Worüber?“
Milla gab keine Antwort.
„Wir können nicht ewig hier bleiben. In drei Wochen ist Weihnachten. Bald kommt Helgas Baby. Helga, Lilly und Mia fragen mich ständig, wann wir wiederkommen.“
„Ist deine Mission schon beendet?“, fragte sie spöttisch.
„Was meinst du?“, entgegnete ich, obwohl ich genau wusste, worauf sie anspielte.
„Na, dein Techtelmechtel mit dem Reitlehrer. Der, der uns heute Abend im Pub mit einem Auftritt beehren wird.“
„Ich habe kein Techtelmechtel mit ihm. Wir reiten nur zusammen aus.“
„Natürlich.“ Sie verzog süffisant die Lippen. „Willst du mir nicht erzählen, wieso du ihn unbedingt finden musstest? Und komm mir nicht damit, dass er ein ehemaliger Kommilitone von dir ist. Von Ian weiß ich, dass er niemals in Deutschland studiert hat.“
Paul kam auf mich zugestolpert und legte mir mit ernster Miene einen Stein in die Hand.
„Danke.“ Ich drückte ihn an mich, froh nicht antworten zu müssen. Doch er entwand sich meinem Griff und lief mit geschäftigem Gesicht davon.
„Also.“ Meine Mutter sah mich an.
„Ich habe einen Beitrag über David gedreht. Er ist einen Sommer lang als Straßenmusiker durch Europa gezogen. Er hat mir gefallen und ich dachte, es wäre nett, ihn wiederzusehen.“ Ich steckte meine Hände tief in die Taschen meiner Jacke.
„Und was ist mit Sam?“
„Sam ist mit Monika mit den Hexenfingern zusammen. Was soll mit ihm sein?“, fragte ich verächtlich.
„Ihr habt ein Kind. Meint ihr nicht, dass ihr euch zumindest Paul zuliebe zusammensetzen solltet, um über alles zu reden.“
„Du und Papa, ihr habt vier Kinder zusammen. Habt ihr euch deswegen noch etwas zu sagen?“
Milla lachte auf. „Das musste ja jetzt kommen.“
Ich tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. „Also? Für wann soll ich unseren Rückflug buchen?“
„Lass uns nur das Wochenende abwarten.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“
Obwohl Davids Auftritt erst um 21 Uhr sein sollte, füllte sich der Pub schon kurz nach acht. Ians Getränkelieferant Michael, die Frau von der Tankstelle und Davids Mutter Gina trafen in dichter Folge in der Hill Bar ein.
„Wolltest du heute nicht ausreiten?“, begrüßte sie mich.
„Ich habe Ian bei den Vorbereitungen geholfen. Als kleines Dankeschön für die unzähligen Mittagessen, die ich bei ihm genießen konnte.“
„Er kocht hervorragend, nicht wahr? Kurz, nachdem er nach Irland gezogen ist, bin ich selbst in den Genuss von ein paar Einladungen gekommen.“ Sie lachte und eine leichte Röte überzog ihr Gesicht.
Unglaublich, welche Wirkung dieser mickrige Typ auf Frauen über 50 hatte. Auch Ellen, die Frau, die morgens die Zeitung vorbeibrachte, bekam immer ganz glänzende Augen, wenn sie ihn ansah. Mittlerweile hatte ich mich an ihn gewöhnt. Er war nett. Er konnte gut mit Kindern umgehen. Sein Essen schmeckte unglaublich. Aber seine Falten waren so tief, dass er sie wahrscheinlich jeden Abend mit einem Wattestäbchen reinigen musste, und mit seinen Bartstoppeln könnte er Spiegel zerkratzen. Was zum Teufel fanden
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