Zeit für Plan B
bessere Gründe, hierherzukommen, als der Rest von uns.«
»Wovon zum Teufel redest du?«, fragte Alison, während sie immer noch Chuck anstarrte, der reglos auf dem Rasen verharrte.
»Für ihn war es viel schwerer, hierherzukommen, als für uns. Er hatte am meisten zu verlieren, und im Gegensatz zu uns anderen hatte er nichts zu gewinnen.«
Alison wandte sich zu mir um, ihr Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Hör zu«, sagte ich. »Es ist kein Geheimnis, dass bei mir in letzter Zeit alles nicht besonders toll gelaufen ist. Die Scheidung, mein Job, et cetera. Das hier war eine willkommene Abwechslung für mich. Außerdem wusste ich, dass Lindsey auch hier sein würde.«
»Verstehe«, sagte Alison bitter. »Das heißt, nachdem ihr jetzt wieder zusammen seid, habt ihr beide bekommen, was ihr wolltet, und Jack spielt keine Rolle mehr. Ist es so?«
»Mein Gott!«, sagte Lindsey und schlug entnervt auf den Felsen. »Das sagt doch niemand. Würdest du vielleicht endlich einmal erwachsen werden?«
»Alison, bitte«, sagte ich. »Die Sache ist die, im Gegensatz zu Lindsey und mir steht Chuck am Beginn einer glänzenden Karriere, und er hat sie aufs Spiel gesetzt, weil sein Freund Hilfe brauchte. Er kam hierher, um Jack zu helfen und um uns zu helfen. Ende der Geschichte. Kein anderer Grund. Das heißt, wenn du dich darüber streiten willst, ob wir die Sache jetzt abblasen sollten oder nicht, dann kannst du das gern tun, aber bitte bleib dabei fair. Jack macht sich vom Acker und versucht, das Haus abzufackeln, und du bist sauer auf Lindsey, weil sie ihre Betäubungspistole benutzt. Chuck bringt die Möglichkeit zur Sprache, nach Hause zu fahren, und du reißt ihm deswegen fast den Kopf ab. Wir sind deine Freunde, Alison. Stoß uns nicht weg.«
»Ich werde dir noch etwas sagen«, begann Lindsey, während sie aufstand und sich vor Alison hinstellte, die inzwischen am gegenüberliegenden Ende des Felsens stand. »Ich bin auch deinetwegen hierhergekommen, noch mehr als wegen Jack. Weil du meine engste Freundin bist und ich dich liebe. Du warst immer für mich da, und ich ertrage es einfach nicht …« Sie schluckte schwer und fuhr fort. »Ich ertrage es einfach nicht, mit anzusehen, wie du von ihm immer und immer wieder verletzt wirst.« Sie punktierte ihren Satz mit einem steifen Kopfnicken und wandte sich dann ab, wobei sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte.
»Als wir uns entschlossen, diese Sache in Angriff zu nehmen, wussten wir ja, dass durchaus die Gefahr besteht, ihn zu verlieren«, sagte ich zu Alison, als Lindsey sich wieder an den Rand des Felsens gesetzt hatte. »Aber jetzt kommt es mir so vor, als würden wir dich auch noch verlieren.«
Alison drehte sich um und blickte über den See hinaus, die Arme um die Brust gelegt, so dass sie mit den Händen ihre Schultern umklammerte.Ich sah, wie sich ihr Rücken zusammenzog und wieder dehnte, während sie tief ein- und ausatmete. Chuck trat zögernd ein paar Schritte vor, auf den Fuß des Felsens zu, nachdem er offenbar einen Umschwung in der Atmosphäre wahrgenommen hatte. »Ich hatte auch noch einen anderen Grund«, erklärte Alison schließlich. »Hierherzukommen, meine ich. Ich habe mir zwar gesagt, dass es nur darum geht, Jack zu helfen, aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Vermutlich dachte ich, wenn ich diejenige wäre, die ihm Beistand leistet, wenn ich ihm da hindurchhelfen würde, dann würde er erkennen, wie sehr ich ihn liebe, und dann würde ihm auch klar werden, wie sehr er mich liebt. Ich – ich weiß nicht –, ich habe einfach die letzten zehn Jahre damit verbracht, mich für jemanden aufzuheben, der mich gar nicht will. Das Leben zieht an mir vorbei, und die Hälfte der Zeit merke ich überhaupt nicht, dass es geschieht. Jedes Mal, wenn ich einen Blick in den Kalender werfe, bin ich entsetzt, wie die Jahre vergangen sind und ich noch immer an derselben Stelle verharre. Es ist verlorene Zeit, und ich habe keine Ahnung, wo sie geblieben ist. Und eines Tages blicke ich auf und stelle fest, ich bin dreißig Jahre alt und noch immer keinen Schritt näher an einem Ehemann und einer Familie als damals auf dem College.« Sie seufzte, während sie geistesabwesend eine Zehe in eine Spalte des Felsens bohrte. Sie löste einen kleinen Kieselstein los und kickte ihn in den See. Ich wartete auf das
Plopp
.
»Ich weiß nicht«, fuhr sie fort, während sie auf die konzentrischen kleinen Wellen starrte, die ihr Stein im Wasser ausgelöst hatte.
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