Zeit für Plan B
einem kurzen Moment, offensichtlich völlig verblüfft.
»Aber ich bin darüber hinweggekommen«, beeilte ich mich zu sagen. »Ich habe dich auch nicht an sich gehasst, sondern eher für meine Einsamkeit verantwortlich gemacht.«
»Ich weiß, was du meinst, Ben, wirklich«, sagte sie voller Mitgefühl. »Ich weiß, wie es ist, einsam zu sein.«
»Hey, sag nichts gegen die Einsamkeit«, sagte ich. »Sie sorgt dafür, dass ich beschäftigt bin, wenn ich allein bin.«
»Sehr witzig.«
»Genug von mir geredet«, sagte ich. »Was hast du denn eigentlich in letzter Zeit so getrieben? Ich hab das Gefühl, ich weiß überhaupt nicht mehr, was in deinem Leben los ist.«
»Das liegt daran, dass es nichts zu wissen gibt.«
»Machst du immer noch Zeitarbeit?«
»O ja. Ich habe die Zeitarbeit zu einer Kunstform erhoben. Es ist die perfekte Metapher für mich. Du weißt schon, nie zu lange an einem Ort bleiben.«
»Und was ist mit Unterrichten? Das könntest du doch immer noch tun, oder?«
»Na klar. Ich habe auch schon überlegt, ob ich nicht wieder damit anfangen soll.«
»Warum hast du es denn damals überhaupt aufgegeben? Du hast doch gern unterrichtet.«
Sie seufzte. »Ich weiß. Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, es hatte nichts mit dem Unterrichten an sich zu tun. Ich glaube, was mich gestört hat, war diese Endgültigkeit, dass ich meine berufliche Laufbahn gefunden hatte. Es war, als hätte sie mich definiert und als sei ich nicht mehr im Werden. Ich fühlte mich bei weitem zujung, um ein fertiges Produkt zu sein. Ich meine, was wäre mir denn dann für den Rest des Lebens noch geblieben?«
Obwohl ich wusste, dass sie nicht davon redete, weshalb sie mich verlassen hatte, passten ihre Worte auch zu diesem Thema. »Das heißt, wenn du Zeitarbeit machst, bist du noch immer im Werden«, sagte ich.
»Ich nehm’s an.«
»Ich finde, du hast schon recht. Das ist die perfekte Metapher für dich.«
»Danke«, sagte sie. »Ich glaube auch.«
»Gern geschehen.«
Sie lachte leichthin. »Wir sollten uns bald einmal treffen.«
»Auf jeden Fall.«
»Okay, bis dann.«
»Bis dann.«
Im Rückblick wird einem ja angeblich vieles klar, aber jedes Mal, wenn ich meine Beziehung mit Lindsey noch einmal überdachte und zu ergründen versuchte, weshalb wir uns eigentlich getrennt hatten, stellte ich fest, dass genau das Gegenteil stimmte. Ich betrachtete die Beziehung aus so vielen unterschiedlichen Winkeln, dass ich jeden Tag einen neuen Grund finden konnte, weshalb sie mich verlassen hatte. Wir hatten es bis zum Erbrechen ausdiskutiert, bevor sie gegangen war, und doch, als ich versuchte, diese Gespräche in Gedanken zu rekonstruieren, hatte ich einen totalen Blackout. Offenbar hatte ich nicht besonders gut zugehört.
Die einfache Antwort war Lindseys Zeitarbeitsmetapher. Sie fühlte sich zu jung für ein sesshaftes Leben und musste hinaus und die Welt entdecken. Es war ein immer wiederkehrendes Thema der Geschichte unserer Trennung – und das eine, das ich zu meinem Parteiprogramm erklärte. Ein sicheres, akzeptables Konzept, das keinem von uns beiden irgendwelche schwerwiegenden Fehler oderMängel zuwies. Aber die Schuldzuweisung war ein unvermeidlicher Bestandteil meiner immer zwanghafter werdenden rückblickenden Analysen, und in den dunkleren Augenblicken, nachdem sie gegangen war, verfolgte mich der stille Hintersinn dieser Entschuldigung – dass sie nicht so empfunden hätte, wenn es nicht irgendetwas gab, was ich nicht hatte.
Es war nicht so, dass sie mich nicht liebte. Ich wusste, dass sie das tat, und das machte es im Grunde nur noch schlimmer. Wenn dich jemand verlässt, weil er dich nicht liebt, dann ist das zwar eine harte Trennung, aber wie heißt es so schein – das Leben ist eben kein Zuckerschlecken. Aber wenn dich jemand liebt und dich trotzdem verlässt, dann betritt man ein völlig neues Reich der Selbstzweifel und Selbstvorwürfe, das, was Psychologen das Was-zum-Teufel-stimmtmit-mir-nicht-Syndrom nennen. Verbring genug Zeit damit, und du wirst eine endlose Liste mit Antworten bekommen. Emotionale Unreife, sexuelle Unzulänglichkeit, einschläfernde Persönlichkeit, Körpergeruch … du bist nur so beschränkt wie deine Phantasie. Es gab sogar eine Achtundvierzig-Stunden-Phase, in der ich allen Ernstes glaubte, ich sei verlassen worden, weil ich kleine, unmännliche Brustwarzen hatte.
Meine gegenwärtige und vielversprechendste Theorie lautete, dass ich von dem Augenblick an, in dem wir
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