Zeit für Plan B
nicht sauer auf ihn sein wollte, weil er sie so behandelte, dann musste es eben jemand anders sein. Lindsey machte es Jack zum Vorwurf, dass er Alison nicht liebte, dass er sie nicht losließ, undauch wenn ich mich nicht erinnern kann, dass sie die Angelegenheit ihm gegenüber je zur Sprache brachte, weiß ich doch, dass sie einen starken Groll gegen ihn hegte. »Er zieht los und treibt’s mit jedem Mädchen auf dem Campus«, hatte sie sich einmal bei mir beklagt, als wir uns zwischen zwei Kursen unter dem Bogen auf dem Washington Square einen Falafel teilten. Es war Winter, und ihre Wangen blank poliert vom Wind, und ich fragte mich, wie viel zusätzlichen Schaden es wohl noch anrichten würde, wenn ich mich vorbeugen und eine dieser Wangen küssen würde. »Und dann kommt er nach Hause und geht auf einen Kaffee mit seiner
guten Freundin
Alison aus.«
Ich weiß noch, dass ich damals dachte, man könnte vielleicht eine deutliche Parallele zu Lindsey und mir ziehen, aber ich übte mich in Diskretion, was selten genug vorkam, und entschied, diesen Punkt nicht anzusprechen. »Sie sind eben echte Freunde«, sagte ich stattdessen.
»Ich bitte dich, Ben«, sagte sie. »Er ist berechnend. Sie ist sein, ich weiß nicht was, Sicherheitsnetz oder was auch immer, und das ist nicht in Ordnung. Das ist emotionale Versklavung.«
Ich weiß, sie wollte, dass ich das Thema Jack gegenüber zur Sprache brachte, dass ich mit ihm darüber redete und versuchte, ihm klarzumachen, was er Alison antat, aber ich sah die Dinge ein bisschen anders. Jack sprach nur selten über seine Vergangenheit, aber ich wusste, dass seine Mutter gestorben war, als er noch sehr klein war, und dass er sich mit seinem Vater nicht verstand. Irgendwann hatte er einmal etwas gesagt, was bei mir die vage Vermutung eines Missbrauchs hinterlassen hatte, aber ich konnte mich nicht mehr genau erinnern, was es gewesen war. Wie auch immer, der Art, wie sich Alison um Jack sorgte, haftete eindeutig etwas Fürsorgliches und Mütterliches an. Jack fand starken Trost in diesem Aspekt ihrer Beziehung, und er war nicht gewillt, das aufs Spiel zu setzen, indem er die Beziehung in eine sexuelle Richtung ausbaute.Auch wenn es für uns oft so aussah, als würde Jack Alison schlecht behandeln, glaube ich doch, dass er sie im Grunde weitaus mehr liebte, als irgendeiner von uns sich vorstellte, und ihre Wärme und Anerkennung waren sein Allerheiligstes. Diese Dinge mit Sex zu entwerten, Alison so zu behandeln wie jedes andere Mädchen auf dem Campus, das war für ihn vielleicht unvorstellbar. Ich glaube, dass sich Jack auf eine seltsame Weise Alisons unwürdig fühlte, wenn es um eine echte, sexuelle Beziehung ging.
In gewisser Hinsicht muss Jack erkannt haben, dass Alison auch Bedürfnisse hatte, Bedürfnisse, die aufgrund ihrer unerschütterlichen Loyalität zu ihm nicht erfüllt wurden. Vielleicht bedeutete das tatsächlich, dass es in seiner Beziehung zu ihr auch ein gewisses egoistisches Element gab, aber das schob Jack mit einer rationalen Erklärung beiseite, sie sei ihm zu wichtig, als dass er sie verlieren wolle. Ich weiß nicht, ob ich es damals verstand oder ob ich nur vage Vermutungen anstellte und meine Erinnerungen nun mit rückblickenden Weisheiten befrachte, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sich beide über die wahre Natur ihrer Beziehung im Klaren waren. Sie waren einfach machtlos, etwas dagegen zu tun. Jack und Alison liebten sich, aber sie benötigten unterschiedliche Dinge von dieser Liebe, wodurch sie sich auf tragische Weise gegenseitig blockierten. Beziehungen gibt es nicht mit Garantieschein, und Verliebtheit allein verspricht noch kein Happy End. Dazu muss man sich bloß Lindsey und mich ansehen. Wenn überhaupt, dann ist die Liebe nur ein Ausgangspunkt. Und dann dringt das Leben ein, zusammen mit all dem persönlichen Gepäck, das man im Laufe der Jahre zusammengepackt hat, und alles geht königlich und unwiderruflich den Bach runter. Man kann darüber verbittert sein, oder man kann es weiterhin versuchen. Die meisten Leute tun von jedem etwas.
An all das musste ich denken, während ich Alisons Schluchzer an meiner Stirn spürte und wir alle dort in der Bar saßen undversuchten, ihr etwas von ihrer Traurigkeit zu nehmen, ihr Gepäck wenigstens ein klein wenig zu erleichtern. Einen Augenblick später wischte sich Alison über die Augen und schenkte uns ein Grinsen. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich glaube, das musste schon seit einer Weile
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