Zeit für Plan B
einfach raus.«
»Na ja«, sagte Chuck und hob sein Glas zu einem gespielten Toast. »Auf Jacks Gesundheit.«
Lindsey hob ihr Glas. »Darauf, dass wir Jacks Arsch vor ihm selbst retten.«
»Auf Alison«, sagte ich. »Die Dame mit dem Plan.«
Alison wischte sich über die Augen und nahm ihr Glas in die Hand. »Plan B«, sagte sie. Wir leerten unsere Drinks.
»Dabei fällt mir ein Witz ein«, sagte Chuck. »Was ist der Unterschied zwischen Freunden und guten Freunden?«
»Was?«, fragte ich.
»Ein Freund hilft dir bei deinem Umzug. Ein guter Freund hilft dir auch noch, wenn er die Leichen im Keller entdeckt hat.«
Einmal habe ich Alison geküsst. Oder sie mich, ich bin mir nicht sicher. Aber Küsse wurden auf jeden Fall getauscht, in unserem dritten Studienjahr, im Village East Cinema. Wir waren zusammen hingegangen, um den Director’s Cut von
Blade Runner
zu sehen, der offenbar ständig irgendwo im Village gezeigt wurde. Es war eine Art alljährliche Tradition bei uns, da wir schon seit langem eine Auseinandersetzung darüber führten, ob Harrison Fords Charakter in Wirklichkeit ein Replikant war oder nicht. Alison sagte ja, ich sagte nein. Wir saßen da, Schulter an Schulter, freundschaftlich aneinander gelehnt, während wir zusahen, wie Rutger Hauer Harrison Ford in nicht allzu ferner Zukunft zu Kleinholz verarbeitet haben würde, und auf einmal küssten wir uns, keine langen, tiefen Küsse, sondern kurze, sanfte, experimentelle. Oberlippe, Unterlippe, offener Mund, geschlossener Mund, Kinn, Nase. Es fühlte sich gutan, aber ein bisschen zu unwirklich, um mich wirklich in Fahrt zu bringen. Es war, als würde man durch Plastik hindurch küssen. Nach einer Weile wurden die Küsse weniger, und wir blieben Stirn an Stirn beisammen und sahen uns ein wenig verlegen an. Schließlich flüsterte Alison: »Es war einen Versuch wert.«
Ich lächelte und küsste sie auf die Wange. »Das hätte der einfache Ausweg sein können, was?«
Sie schloss die Augen. »Ja.« Es war das erste Mal, dass einer von uns beiden seine Frustration hinsichtlich der Situation mit Lindsey beziehungsweise Jack offen geäußert hatte. Jack ging mit einer Art Model/Grafikkünstlerin vom Fashion Institute of Technology und Lindsey mit Boris dem Zauberer, und Alison und ich tauschten wertlose Küsse in einem leeren Kinosaal.
Wir wandten uns wieder der Leinwand zu. Rutger Hauer brach inzwischen Harrison Ford die Finger. »Was meinst du, weshalb wir es uns gefallen lassen?«, fragte sie mich, ohne den Blick abzuwenden.
»Man kann sich eben nicht aussuchen, für wen man Feuer fängt«, sagte ich.
»Das ist doch schwach«, sagte sie. »Wir sind intelligente Menschen. Wir sollten doch in der Lage sein, zu erkennen, dass etwas nicht passiert, und dann etwas Neues in Angriff nehmen. Warum können wir das nicht?«
»Weil wir naive Romantiker sind.«
»Oder blinde Optimisten.«
Ich dachte ein paar Sekunden darüber nach, ohne zu irgendwelchen neuen Schlüssen zu kommen.
»Wenn ich doch bloß glauben könnte, dass er mich wirklich nicht liebt«, sagte Alison zögernd. »Wenn ich mich dazu bringen könnte, das zu glauben, ich denke, dann könnte ich etwas Neues in Angriff nehmen.«
»Aber er liebt dich«, sagte ich.
»Ich weiß«, sagte sie. »Und genau das ist der Haken. Er ist wirklichkomisch. Die eigentliche Tragödie ist nicht, dass Jack mich nicht liebt. Sondern dass er mich liebt.« Sie schwieg einen Augenblick. »Was ist mit dir und Lindsey?«
»Was soll mit uns sein?«
»Ich weiß nicht. Es ist irgendwie das Gleiche, oder?«
»Nicht wirklich«, log ich. »Ich mag es so, wie es ist.«
»Oh«, sagte sie geziert. »Tatsächlich.«
»Na klar«, sagte ich.
»Ben, bitte! Du hast mich gerade eben öfter geküsst, als du sie je geküsst hast. Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass dich das nicht ärgert?«
»Sei nicht so hart zu dir selbst. Du küsst gar nicht schlecht.«
»Hör auf, mir auszuweichen«, sagte Alison und kniff mich fest ins Handgelenk.
»Was soll das heißen? Du hast das Thema Küssen zur Sprache gebracht.«
Sie sah mich eine Minute lang an und lächelte dann. »Du weichst sogar aus, wenn es ums Ausweichen geht«, sagte sie. »Dich hat’s wirklich ganz schön erwischt.«
»Ich weiß nicht«, gab ich mich etwas versöhnlicher. »Ich nehme an, wir werden einfach beide dafür bestraft, dass wir als Freunde von solch unschätzbarem Wert sind. Es gibt Schlimmeres.«
»Wenn du das wirklich glaubst, dann bist du ein
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