Zeit für Plan B
Schrecken eingejagt, weißt du das?«
»Es tut mir leid.« Aus irgendeinem Grund schaffte ich es nicht, mehr als ein paar kurze Worte auf einmal zu sprechen.
»Als wir da hochgefahren sind und den Wagen entdeckt haben und ich dich dort auf der Erde sah …« Sie brach ab, und eine Träne rollte ihr aus dem linken Auge und kullerte seitlich über die Wange, bevor sie sie mit einem Finger abfangen konnte. Ich sah die Träne, und ich empfand eine Mischung aus Schuldgefühlen und Freude, dass sie meinetwegen weinte, dass etwas von mir in ihr dieses flüssige Signal aussendete. Dass ich zu ihr gehörte. »Wir haben uns eben gefunden«, flüsterte sie, doch der Gedanke blieb unvollendet, da in diesem Augenblick Chuck und Alison mit Pappbechern ins Zimmer kamen.
»Du bist wach!«, rief Alison und kam auf mich zu, um mir einen Kuss zu geben. »Wie geht’s dir?«
»Lausig«, sagte ich.
»So siehst du auch aus«, sagte Chuck fröhlich, während er fachmännisch das Krankenblatt durchblätterte, das am Fußende meines Betts klemmte. »Du hast ganz schön Glück gehabt«, sagte er und sah zu mir hoch. Unwillkürlich betrachtete ich den blauen Fleck, der noch immer auf seinem Gesicht zu erkennen war, auch wenn esinzwischen kaum noch mehr als eine schwache, gelbliche Schmierstelle war. »Keine Rippen gebrochen, keine inneren Verletzungen oder Blutungen. Nur die blauen Flecken im Gesicht.«
»Mein Körper«, sagte ich, während ich versuchte, ein wenig mit den Schultern zu wackeln. »Er tut überall weh.«
»Vermutlich hast du im Moment des Aufpralls all deine Muskeln extrem angespannt.«
Ich sah den Rücken des Rehs vor mir, sah, wie er gegen die Windschutzscheibe prallte, wie sein mattiertes Fell gegen das Glas gedrückt wurde. Ich schloss die Augen und lehnte mich in die Kissen zurück, erschöpft und deprimiert.
»Wir werden dich jetzt ein Weilchen allein lassen«, sagte Alison. »Damit du dich ein bisschen ausruhen kannst.«
Als ich kurze Zeit später wieder aufwachte, fühlte ich mich schon etwas besser, aber ich war immer noch auf eine unerklärliche Weise traurig und nicht in der Stimmung zu sprechen. Ich wusste, dass es mir leid tat, dass ich das Reh getötet hatte, aber die Traurigkeit in mir ging darüber hinaus. Es war, als hätten mich dieser hässliche Unfall und mein Neubeginn mit Lindsey all der emotionalen Puffer beraubt, auf die ich mich in den letzten Jahren immer mehr verlassen hatte. Die Folge war, dass ich all die Einsamkeit und Verzweiflung des vergangenen Jahres nun auf einen Schlag durchmachte. Ich kam mir vor wie etwas, das aus seinen Grundfesten gerissen wurde, schwach und irgendwie kleiner, erniedrigt durch meine Erfahrungen. Ich konnte das Gefühl nicht annähernd in Worte fassen, aber Lindsey, die noch immer auf dem Stuhl neben meinem Platz saß und leise vor sich hinsummte, während ihre Hand sanft auf meiner Hüfte ruhte, schien zu begreifen, dass ich einfach etwas Zeit benötigte, um alles in mich aufzunehmen und selbst damit ins Reine zu kommen.
Bis zum Abend hatte ich mein Gleichgewicht halbwegs wiedergefunden. Alison und Chuck waren nach Hause gefahren, umda zu sein, falls Jack anrufen oder auftauchen sollte. Lindsey saß im Schneidersitz am Fußende des Betts, meine Beine links und rechts von sich, und massierte mir durch die Decke hindurch die Füße, während wir uns unterhielten. Draußen hielt der Ansturm des Regens immer noch an, und das Wasser rann in Zickzacklinien am Fenster hinunter, wie Pinselstriche auf unserem Spiegelbild. Ich betrachtete unser Spiegelbild in der Scheibe, beobachtete, wie wir jedes Mal, wenn der Abendhimmel von einem Blitz erhellt wurde, durchsichtig wurden, schwebende Geister in einem regenerfüllten Himmel. Ich stellte mir vor, wie ein Nachspann über die Scheibe nach oben laufen würde, als seien wir die letzte Einstellung eines Films.
Eine erschöpft aussehende Krankenschwester mit einem Tablett in den Händen trat energisch ins Zimmer, auf Gummisohlen, die auf dem gebohnerten Linoleumboden quietschten. Sie warf einen missbilligenden Blick auf Lindsey, die noch immer auf meinem Bett kauerte, und stellte dann einen Pappbecher und ein paar Pillen auf meinem Nachttisch ab. »Das müsste Ihnen durch die Nacht helfen«, sagte sie in einem erstaunlich sanften Tonfall. »Der Arzt sagt, Sie können die Klinik gleich morgen früh verlassen.«
»Danke«, sagte ich.
Sie knipste das Licht aus und wandte sich dann zu Lindsey um. »Ihr Freund braucht Ruhe, und
Weitere Kostenlose Bücher