Zeit für Plan B
nur hinaus«, sagte er stirnrunzelnd, während er die Wagenschlüssel aus seiner Jeans fischte.
»Genau das tue ich«, sagte ich und drückte auf den Knopf an Alisons Schlüsselkette. Der Beamer piepste zweimal, und die Scheinwerfer blinkten kurz auf. »Auf meinem Gebiet bin ich vielleicht sogar der Beste.«
»Wir sehen uns um drei«, sagte Chuck düster, als wir in den Regen hinaustraten.
»Hey, denk positiv«, sagte ich. »Vielleicht finden wir ihn doch wirklich. Oder er kommt von allein zurück.«
»Ja, genau«, murmelte Chuck, zog sich die Kapuze seines Anoraks über den Kopf und trat von der Veranda. »Genau so wird’s sein.«
Chuck nahm den Taurus und fuhr auf der Route 57 in Richtung Norden. Ich fuhr mit dem Beamer in Richtung Süden, fort von Carmelina. Ich wusste, dass Alison diese Strecke zuvor schon abgefahren war, aber es gab sonst keinen Ort, wo man noch suchen konnte. Vielleicht würde ich ja auf Jack stoßen, wie er im Regen die Asphaltstraße entlangschlenderte, auf eine Mitfahrgelegenheit wartete. Der Regen trommelte einen sanften Rhythmus in Moll auf das Schiebedach, der perfekt zu der Counting-Crows-CD passte, die ich angemacht hatte. Undurchsichtige Wasserflecken bildeten sich auf der Windschutzscheibe und brachen die Scheinwerferlichter entgegenkommender Wagen. Nicht der beste Tag, um draußen unterwegs zu sein. Jack war ohne irgendetwas losgezogen. Die Untersuchung seines Zimmers durch Alison hatte ergeben, dass er lediglich seine Brieftasche mitgenommen hatte, nicht einmal seine Schuhe oder auch nur ein Hemd, und Alison zufolge fehlten auch keine Kleidungsstücke aus dem Haus. Soweit wir erkennen konnten, war Jack draußen im Regen unterwegs, mit nichts bekleidet als der Hose des OP-Anzugs, in dem er geschlafen hatte. Ich war mir noch immer ziemlich sicher, dass er nicht sehr weit gekommen sein konnte. Sein einziges Verkehrsmittel hätte Trampen sein können, und nur wenige Fahrer würden wohl geneigt sein, einen halb nackten, völlig durchnässten Fremden mitzunehmen.
Ein Blitz erhellte die dichten grauen und schwarzen Wolken, die den Himmel bedeckten, und zu meiner Linken sah ich den Blitzstrahl über einem baumbewachsenen Berggipfel. Der Sturm hatte inzwischen einen Gang zugelegt. Als ich um die nächste Kurve bog, sah ich einen Rückstau von vier Wagen, die nicht weiterfahren konnten, da ein umgekippter Baum die Straße blockierte. »Wo bist du, Jack?«, rief ich laut, wendete den Wagen und fuhr zurück in Richtung Haus.
Die Plötzlichkeit, mit der das Reh vor mir auftauchte, versetzte mir einen Schock. Es kam nicht gemächlich aus dem Wald auf die Straße geschlendert, sondern stand einfach auf einmal mitten auf der Fahrbahn. Vergeblich trat ich die durchnässten Bremsen des Wagens durch, und dann gab es einen grässlichen, knirschenden Aufprall, den ich eher spürte als hörte und der mir den hart-weichen Körperbau des Tiers verdeutlichte, während es eins mit dem Wagen wurde. Meine Hände hielten das Lenkrad umklammert, während ich einen entsetzten Fluch ausstieß und das Bremspedal unter meinen Zehen wie wild vibrierte. Das schrille Kreischen der Reifen im Aquaplaning verlieh dem stummen Tier eine Stimme, während wir vom Asphalt in den mit Schlamm angefüllten Straßengraben schlitterten, der die Straße vom Wald trennte. Die Wucht dieser Bewegung warf das Reh auf die Motorhaube des Beamers, und sein nasser Rücken wurde gegen die Windschutzscheibe gepresst, so dass ich nichts mehr sah als das perfekte Zickzackmuster seines sandfarbenen Fells, bis der Airbag in mein Gesicht explodierte, als wir auf der anderen Seite des Grabens aufprallten.
Das Erste, was ich merkte, als meine Sinne aus dem grauen Nebel des Halbbewusstseins allmählich wiederkehrten, war, dass die Counting Crows noch immer sangen, ungeachtet des Zusammenpralls. Aber die Musik war in einzelne Teile zerfallen. Irgendwo zu meiner Linken war die akustische Gitarre, die gleichmäßig vor sich hin klimperte, während die Pianotöne über meinem Kopf schwirrten. Die Drums hämmerten zu meiner Rechten, und Adam Duritz’ körperlose, weinerliche Stimme ertönte irgendwo hinter mir. Der Bass schien aus meinem Bauch zu kommen. Mit dieser äußersten Klarheit vernommen, war es keine Musik mehr, sondern es waren zusammenhangslose Klänge ohne Melodie. Mein Gesicht war noch immer taub von dem Aufprall auf den Airbag, aber ich spürte, wie ein heißes Kribbeln in meinen Wangen einsetzte, das sich mit jeder Sekunde, die
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