Zeit für Plan B
verstrich, weiter verstärkte. Meine Hände hielten dasLenkrad immer noch eisern umklammert, und die Muskeln meiner Arme verharrten angespannt, ohne sich zu bewegen. Der Rest von mir hatte sich noch nicht zurückgemeldet. Unter Anstrengungen löste ich meine rechte Hand vom Lenkrad – allein schon diese simple Bewegung machte meine Nerven in Arm und Schulter rasend vor Schmerz – und schaltete die Stereoanlage aus. Auf einmal herrschte ringsum Stille.
Nach und nach, als würde irgendjemand langsam am Lautstärkeregler drehen, wurde das Geräusch des Regens, der auf das Dach des Wagens trommelte, immer lauter und drängte mich in die Wirklichkeit zurück. Ich fummelte an der Tür herum und spürte dann, als sie aufschwang, den Sprühnebel des Regens in meinem Gesicht. Einen wirklich entsetzlichen Augenblick lang spürte ich, dass ich außer stande war, mich von meinem Sitz zu lösen, doch dann merkte ich, dass ich lediglich gegen meinen Gurt ankämpfte, und es gelang mir, mich loszuschnallen und aus dem Wagen zu klettern. Auf wackeligen Beinen ging ich halb um den Wagen nach vorn und begutachtete den zerquetschten Kühlergrill und das verbogene grüne Metall, das einmal das Vorderende der Motorhaube gewesen war. Sechs Meter weiter lag das Reh, ein verstümmelter Haufen, der nur noch die Beine erkennen ließ. »Wo bist du, Jack?«, murmelte ich unsinnigerweise vor mich hin, während ich auf das Reh zuging und meine Schuhe tief in den Schlamm einsanken. Der Kopf des Rehs war vollkommen verdreht, die Ohren standen immer noch senkrecht, und seine getupfte Schnauze war gen Himmel gerichtet. Ich sah erstaunlich wenig Blut, aber der zerquetschte Körper des Rehs ergab, genau wie die Musik in meinem Wagen, keinen Sinn mehr. Während ich vor dem toten Tier stand, traten auf seinem langen Hals ein paar Tropfen Blut hervor, die nur kurze Zeit später von dem noch immer strömenden Regen fortgespült wurden. Noch ein paar Tropfen traten hervor und verschwanden, bevor ich schließlich merkte, dass nicht das Reh blutete, sondern ich. Ich hielt mireine Hand vor die Nasenlöcher, und als ich sie wieder fortnahm, war sie blutbeschmiert. Auf einmal begann der Körper des Rehs zu zittern, und ich sah voller Entsetzen, voller Angst, dass es noch nicht tot war, aber genau wie bei dem Blut hatte ich einfach keinen Durchblick mehr. Nicht das Reh zitterte, sondern ich. Die letzten Reste an Kraft verließen meine Beine, und ich setzte mich abrupt in eine Pfütze. Ich verspürte eine tiefe, elementare Traurigkeit, die allem Anschein nach seit Jahren in mir gewachsen war, wie Luft, die ständig ein- und nie ausgeatmet wird. Der Regen prasselte auf mich nieder, kalte Nadeln, die an jeder Stelle meines Körpers in mich eindrangen, und ich hatte das Gefühl, ich würde mich auflösen.
Ich weiß nicht mehr, wer zuerst kam, die Rettungssanitäter oder Lindsey und Chuck, die sich Sorgen machten, als sie mich über das Funktelefon des Beamers nicht erreichen konnten, aber Chuck erzählte mir später, dass ich, als sie mich fanden, weinte wie ein Baby.
28
I ch wachte in einem leeren Krankenhauszimmer auf, glücklich betäubt von Morphium, und dachte an Sarah. Ich blickte an meinem Körper hinunter, der von der Taille abwärts in eine dünne weiße Decke gehüllt war, als sei er ein lebloser Gegenstand, nur ein zusätzliches Teil des Betts. Er hatte nichts mit mir zu tun. Sarah wusste nicht, dass ich verletzt war. Das kam mir nicht richtig vor. Ich schwebte über dem Bett, konnte die Laken unter mir nicht spüren, den sanften Druck der Matratze gegen meinen Rücken. Wo bist du, Jack?, dachte ich. Auf dem Nachttisch stand ein Strauß frischer Blumen. Paradiesvogelblumen, Nelken, Tulpen und Schleierkraut. Ein Farbspritzer in dem ansonsten sterilen Zimmer. Ich schwebte über den Blumen und sah die Blütenblätter, die sich ausstreckten, die wie im Zeitraffer aufblühten. Sarah wusste nicht, dass ich verletzt war. Sie war meine Frau. Nicht mehr. Trotzdem, es kam mir nicht richtig vor.
Ich beugte mich vor und griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch. Nach ein paar vergeblichen Versuchen gelang es mir schließlich, Sarahs Nummer zu wählen. »Hi«, sagte ich, als sie am anderen Ende abnahm. »Hier ist Ben.«
»Ben?«
»Ja.«
Es entstand eine Pause. »Was ist los?«
»Ich hatte einen Autounfall«, sagte ich.
»O mein Gott! Wo steckst du? Ist alles okay mit dir?«
»Ich glaub schon. Ich dachte nur, du solltest es wissen.«
»Wo bist du?«,
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