Zeit, gehört zu werden (German Edition)
laufe.
»Gut«, sagte ich. »Und wie geht’s mit der Arbeit?«
»Ziemlich lahm, da die Touristensaison vorbei ist.«
Wir hielten uns nicht an den Händen.
Ich folgte Mirko über die Kiesauffahrt zu seinem Haus. Am liebsten wäre ich umgekehrt, brachte es aber irgendwie nicht fertig. Auf einmal war ich in seinem Haus. Mirko schob mich bis an sein schmales Doppelbett. Doch als er mir die Hand in die Jeans schob, sträubte ich mich. »Ich muss gehen«, sagte ich. Ohne den Grund zu nennen, streifte ich mir einfach mein T-Shirt über und verließ das Haus. Ich fühlte mich weder frei noch weltgewandt, sondern verspürte einen Anflug von Bedauern.
Danach war ich zu beschämt und verlegen, um noch einmal in das Café zu gehen. Stimmte etwas nicht mit mir? Oder lag es an ihm? Jedenfalls konnte ich es nicht ertragen, ihm wieder über den Weg zu laufen.
Ich war allein mit Meredith, als ich ihr erzählte, dass ich vor Mirko geflohen war. »Ich komme mir blöd vor.«
»Amanda«, sagte sie tröstend, »vielleicht ist unverbindlicher Sex einfach nichts für dich.«
Monate später behaupteten Merediths Freundinnen, unsere Mitbewohnerinnen und besonders der Staatsanwalt, unsere Beziehung habe sich verschlechtert – wir hätten über Männer, mein Verhalten und Geld gestritten. Das stimmte nicht. Meredith und ich hatten nie Auseinandersetzungen. Wir lernten uns einfach nur kennen, und ich fand, dass wir in kurzer Zeit eine angenehme Vertrautheit entwickelt hatten – ein Prozess, der wahrscheinlich schneller verlief, weil alles um uns herum neu und fremd war. Wir wohnten zusammen in einem Haus, nahmen gemeinsam Mahlzeiten ein und teilten uns ein Bad. Ich behandelte Meredith wie eine Vertraute. Sie begegnete mir mit Respekt und Humor.
Die einzige peinliche Interaktion hatten wir, als Meredith mir freundlich die Nachteile italienischer Klos erläuterte.
Ihr Gesicht war etwas angespannt vor Verlegenheit, als sie zu mir ins Zimmer kam und sagte: »Amanda, tut mir leid, wenn ich das ansprechen muss. Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber bei unseren Toiletten musst du wirklich jedes Mal die Bürste benutzen.«
Die Sache war mir furchtbar peinlich. Ich wusste, wie unangenehm es Meredith war, sie überhaupt zu erwähnen. Mir wäre es genauso gegangen. »O mein Gott, das tut mir leid. Ab jetzt werde ich immer genau hinschauen und dafür sorgen, dass ich alles sauber hinterlasse.«
Wir lachten ein wenig nervös. Wir wollten uns beide nicht zu nahetreten.
Im Rahmen der jährlich stattfindenden Eurochocolate Mitte Oktober füllten zwei Wochen lang Zelte und Tische alle Plätze rund um den Corso Vannucci. Die ganze Stadt duftete nach Schokolade. Laura erzählte mir, dass zu diesem Anlass Schokoladenskulpturen hergestellt wurden. Das geschah am frühen Morgen, daher ging ich am nächsten Tag zur Piazza IV Novembre, um es mir anzusehen. Die Künstler begannen mit einem Schokoladenblock von der Größe eines Kühlschranks. Die abgemeißelten Stücke sammelten Helfer in kleine Plastiktüten, die sie in die lärmende Menge warfen. Als ein Schokoladenbrocken mit dem Gewicht eines Großwörterbuchs herabfiel, kreischten die Zuschauer und streckten die Hände über die Absperrung. Ich war kleiner als die meisten, die um mich herumstanden, aber ich sprang auf und ab und schrie: »Mi, mi, mi!«
Ich war erstaunt, als der Helfer mir den Brocken in die Hände drückte. Die Leute griffen danach, zupften kleine Stücke ab, während ich mich aus der Menge löste. Auf schnellstem Wege eilte ich nach Hause, damit der Block nicht an meinem T-Shirt schmolz. Ich lud ihn auf dem Tisch ab und sagte: »Voilà!« Später versuchten Meredith und ich, aus meinem Gewinn das Toll-House-Rezept für Schokoladenplätzchen nachzubacken, wobei wir uns nur auf Vermutungen und Erinnerungen stützten.
An einem anderen Nachmittag besuchte ich das Festival zusammen mit Meredith. Ich schaltete die Videokamera in meinem Handy ein und ahmte eine Fernsehjournalistin nach. »Sagen Sie, Meredith, wie geht es Ihnen hier beim Festival Eurochocolate?«
Meredith lachte und sagte: »Nein, nein, nicht filmen!« Sie schob die Kamera beiseite. Sie wollte nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.
Wir hatten beide nicht das Gefühl, weit gehen zu müssen, um nette Gesellschaft zu haben. An den meisten Tagen kamen drei der vier Jungs, die unten wohnten, Giacomo, Stefano, Marco und ein anderer Freund, Giorgio, während des Mittagessens vorbei. Auch nach dem Abendessen
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