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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Knox
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und ging.
    Juve lächelte und schüttelte mir die Hand. Er sprach ein perfektes, gekünsteltes Englisch. »Du suchst also einen Job«, sagte er.
    »Ja, ich habe Erfahrung als barista .«
    »Bist du aus Amerika?«, fragte er.
    »Ja, aus Seattle.«
    Er legte mir den Arm um die Schultern und führte mich die Straße entlang, fort von der Universität. Ich hatte ein eigenartiges Gefühl, denn ich suchte einen Job, keinen Freund. »Meinem Chef, Diya Lumumba – die Leute nennen ihn Patrick –, gehört eine neue Bar, Le Chic «, erklärte Juve mir. »Die Kneipe ist gut, klein, und wir bauen gerade unsere Kundschaft auf. Tagsüber verteile ich Flyer und bringe abends die Gäste rein. Ich sorge dafür, dass der Laden läuft.«
    »Gehen wir da jetzt hin?«, wollte ich wissen.
    Die Antwort war nein.
    Stattdessen gingen wir in Juves Wohnung, wo er uns Espresso machte und wir abwechselnd auf seiner Gitarre spielten. Das war das merkwürdigste Einstellungsgespräch, das ich je hatte. Ich war mir nicht sicher, was ich sagen oder tun sollte. Ob ich über meine Arbeitserfahrung sprechen sollte, wie ich in einem Café bedient und für einen Partyservice in Seattle gearbeitet hatte? Oder waren wir zwei Arbeitskollegen, die einfach nur abhingen? Ich hatte damit gerechnet, dass er mir Fragen stellte, aber mich beschlich das Gefühl, dass ich den Job schon beim ersten Händeschütteln bekommen hatte. Wie so viele andere Erfahrungen in Perugia brachte mich das aus dem Gleichgewicht.
    »Was den Job betrifft«, sagte Juve schließlich, »der ist unkompliziert und leicht. Ich gebe dir die Flyer, die du an der Uni verteilst. Lade deine Kommilitonen ein, ins Le Chic zu kommen. Frag sie immer wieder. Gegen neun Uhr abends treffen wir uns dann vor der Bar. Patrick macht die Türen auf, und wir helfen ihm, alles herzurichten. Dann gehen wir zum Corso Vannucci, verteilen noch mehr Flyer und lotsen die Leute zum Le Chic . Wenn uns die Flyer ausgegangen sind, helfen wir Patrick bei den Getränken, lagern Snacks ein und sorgen dafür, dass es den Leuten gutgeht. Wenn Gäste gehen, holen wir neue rein.«
    Ich wurde eingestellt und sollte abends von neun bis ein Uhr in der Bar arbeiten – für fünf Euro die Stunde. »Das Verteilen von Flyern wird nicht als Arbeitszeit angerechnet«, sagte Juve.
    »Okay«, erwiderte ich. »Und jetzt?«
    »Du musst Patrick kennenlernen. Ich werde ihm sagen, dass ich dich kenne, und dir beibringen, was du zu tun hast.«
    Ich lernte Patrick gegen Mittag des nächsten Tages in der Snackbar der Universität kennen. Er stammte aus dem Kongo und sprach Italienisch, aber kein Englisch. »Verstehst du, was ich sage?«, fragte er.
    »Ziemlich gut«, antwortete ich.
    Patrick war ebenso wenig an meiner Arbeitserfahrung interessiert wie Juve. Rückblickend bin ich mir inzwischen sicher, dass sie mich einstellten, weil sie dachten, ich würde Männer in die Bar locken. Aber damals war ich zu naiv, um das zu begreifen. Ich hielt mich noch immer für ein eigenwilliges Mädchen, darum bemüht, herauszufinden, wer ich sein würde, wenn ich erwachsen war. Jetzt ist mir klar, dass das »Einstellungsgespräch« einzig und allein dazu diente, zu prüfen, ob mein Aussehen ein Magnet oder ein Manko war.
    Patrick sagte: »Der Job ist mal bedienen, mal sauber machen, mal freundlich und einladend sein.«
    »Ich bin kontaktfreudig«, sagte ich, immer noch im Versuch, mich als zupackende Arbeitskraft zu verkaufen. »Ich rede gern mit anderen Leuten.«
    »Gut. Juve wird dich einarbeiten, und wir sehen uns heute Abend!« Patrick stand auf und küsste mich auf beide Wangen. Juve reichte mir einen Stapel Flyer. »Die Studenten kommen jetzt aus den Vorlesungen«, sagte er. »Verteil die hier. Und herzlichen Glückwunsch!«
    Kurz vor neun ging ich zu Juves Wohnung, und wir setzten den Weg zum Le Chic gemeinsam fort. Die Holztür stand offen und gab den Blick in einen düsteren, winzigen Vorraum mit einer Bar und in einen Bereich mit Sitzplätzen dahinter frei. Die Wände waren aus Backsteinen, und überall war es dunkel. Es sah aus wie ein Keller.
    Patrick stand hinter der Bar. »Herzlich willkommen«, sagte er, reichte mir eine Getränkekarte und begann zu erklären, welche Biere vom Fass und welche in Flaschen waren sowie die verschiedenen Spirituosen für Cocktails und Spezialdrinks. »Möchtest du etwas?«
    »Ich komm schon klar, danke«, sagte ich, sah Patrick aber an, dass ich mich auf Italienisch nicht deutlich ausgedrückt hatte. »Nein

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