Zeit, gehört zu werden (German Edition)
danke«, verbesserte ich.
Wie sich herausstellte, war die Arbeit im Le Chic nicht annähernd so einfach oder unkompliziert wie angekündigt. Sie war sogar verwirrend. Ich verstand Patricks Anweisungen nicht immer, besonders bei der dröhnenden Musik, und musste mich auf Juve verlassen, der sie mir übersetzte. Es war schwer, Bestellungen nachzuhalten, besonders bei Gästen, von denen ich kaum erwarten konnte, dass sie den ganzen Abend an einer Stelle standen. Ich kam mit Tabletts nicht zurecht und musste jeweils zwei volle Gläser in Händen tragen. Meine Aufgabe war, dafür zu sorgen, dass die Gäste weitertranken, und ich musste genau hinsehen, damit ich mich auf nicht vollständig geleerte Gläser stürzen und sie durch neue Cocktails ersetzen konnte. Da hatte ich mir viel aufgeladen, auch ohne die zusätzliche Herausforderung, bis ein Uhr nachts wach zu bleiben, wenn am nächsten Tag Unterricht stattfand.
»Lass es dir gutgehen«, war meine wichtigste Anweisung von Patrick. Wenn ich meinen Spaß hatte, würden ihn auch die Gäste haben. Das war ganz und gar nicht das, worauf ich mich einlassen wollte. Als Kellnerin zu Hause war ich freundlich zu den Stammgästen gewesen, hatte aber eine Schürze getragen und war hinter der schützenden Theke geblieben. Ich ging gerne aus und war auch gerne unter Leuten, aber in diesem Job fühlte ich mich ausgenutzt und verunsichert. Doch sobald ich mich zu etwas verpflichte, fällt es mir schwer zuzugeben, dass es nicht funktioniert.
Patrick bot mir während der Arbeit immer Getränke an, und ich konnte nicht feststellen, welche Botschaft er mir damit zukommen ließ. Da ich nie viel Alkohol getrunken hatte, lehnte ich entweder ab oder nuckelte den ganzen Abend an einem Glas Wein.
Jeden Tag traf Juve mich vor meinem Grammatikkurs mit einem neuen Stapel Flyer, und ich verteilte ein paar zwischen den Kursen und danach. Mir graute vor der Stunde zwischen neun und zehn Uhr abends, in der ich allein auf Perugias größtem Platz, der Piazza IV Novembre, stehen und ausrufen musste: » Le Chic . Via Alessi. Le Chic . Via Alessi.« Ich fühlte mich verwundbar.
Die Piazza IV Novembre mit dem kunstvoll gemeißelten Brunnen aus rosafarbenem und weißem Marmor an der Südseite des duomo , einer riesigen gotischen Kathedrale aus dem fünfzehnten Jahrhundert, war der Haupttreffpunkt der Stadt. Jeden Abend wogte er von lärmenden Studierenden, die mit Bier in Plastikbechern herumliefen. Leider erinnerte mich das an die Verbindungsfeiern, an denen ich als frischgebackene Studentin der University of Washington teilgenommen hatte. Ich war zu diesen Partys gegangen, hatte mit den Leuten getanzt, zu viel getrunken. Ich brauchte nicht einmal ein Semester, um festzustellen, dass es mir überhaupt nicht gefiel. Als Studentin in Perugia hatte ich das Gefühl, als wäre ich im Kreis gelaufen und an dieselbe Stelle zurückgekehrt – paradox, schließlich war ich nach Italien gegangen, um zu mir selbst zu finden.
Mein Job vermittelte mir das Gefühl, im Auge des Hurrikans zu stehen. Ständig machten sich Typen an mich heran, um mit mir zu flirten, sagten, sie kämen nur dann im Le Chic vorbei, wenn ich verspräche, dort zu sein. Ihnen eine Abfuhr zu erteilen, wie ich es gern getan hätte, wäre schlecht für das Geschäft gewesen. Daher hoffte ich, mein zwitscherndes »Du solltest echt vorbeikommen« klänge Patrick zuliebe einladend und nicht allzu anzüglich, was mich betraf.
Für mich war es verwirrend. Ich war offen für neue Leute und Erfahrungen, landete letzten Endes aber in unangenehmen Situationen. Für Patrick und Juve zu arbeiten gehörte dazu.
Da ich an den meisten Tagen stumm dastand, den Arm zu Passanten ausgestreckt, die allenfalls den bunten Flyer, aber nicht mich wahrnahmen, war ich immer erleichtert, wenn mein Stapel kleiner wurde und ich gehen konnte.
Doch egal, wie viele Flyer ich austeilte, das Le Chic setzte sich nicht durch. Meredith kam mich ein paarmal besuchen, damit ich mich nicht langweilte oder einsam war, und einmal brachte sie ihre Freundinnen mit. Aber ich verstand, warum sie nicht wiederkamen. Das Le Chic hatte nicht viel Laufkundschaft, daher war die Tanzfläche für gewöhnlich leer. Die Bar wirkte trist – nicht gerade ein Rezept für Partylaune. Patrick gab sich große Mühe, sie einladend zu gestalten, aber es war dennoch laut und dunkel darin; es kamen eher ältere Männer – häufig Freunde von Patrick –, aber keine Studenten.
Das Le Chic war nicht
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