Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
Vom Netzwerk:
sonderbare Gestalt. »Ich bin Gabriel. Du bist am Ende deiner Reise.«

 
Kapitel 16
     
    Das neue Tier
     
    E r war fast zweieinhalb Meter groß, rosig, korpulent und in fließende weiße Gewänder gekleidet. Er lächelte auf übertriebene Weise, ein Lächeln, das mehr bedeutete als Glücklichsein.
    Josh sprang zwischen Rose und den hochragenden Neuromann und duckte sich, das Messer in der Hand.
    »Nein, nein«, sagte der andere lachend. »Ich bin nur Gabriel. Mich brauchst du nicht anzugreifen. Du hast gewiss eine lange Reise hinter dir und möchtest dich sicher ausruhen. Ich bin nur der ENGEL, der Nachtdienst hat. Außerdem greife ich nie zur Gewalt.«
    Die scherzhafte Redeweise brachte Josh aus dem Gleichgewicht. Er richtete sich ein wenig auf und ließ das Messer sinken. Gabriel drehte ihm den Rücken zu und ging zur Wand.
    Josh nahm die Umgebung zum ersten Mal wahr. Der Raum war leer bis auf einen großen Metallkasten, in dem alle Kabel aus dem Saal verschwanden. Auf dem Kasten befand sich eine Art Steuertafel mit vielen Knöpfen. Gabriel begann eine Reihe davon zu bedienen. Er drehte Josh immer noch den Rücken zu.
    »Was habt ihr mit ihnen gemacht?« fuhr Josh ihn an. »Weck sie auf!« sagte er und zeigte auf die bewusstlose Rose.
    »Ach, ich habe gar nichts gemacht«, erwiderte Gabriel, immer noch mit den Knöpfen beschäftigt. »Das hat alles die Königin gemacht. So. Du musst aber doch von deiner langen Reise ein bisschen müde sein … wie heißt du noch?«
    »Joshua. Joshua«, sagte er. Er fühlte sich in der Tat auf einmal schläfrig, so schläfrig, dass er beschloss, sich zu Rose auf den Boden zu setzen.
    »Nun, Joshua«, sagte Gabriel, während er sich nach ihm umdrehte, »unsere Königin ist ein bemerkenswertes Tier. Sie ist hochbegabt, wunderschön und anmutig. Sie hat Scharen von bedeutungslosen, richtungslosen Wesen hergenommen und sie zu einem zusammenhängenden, denkenden Organismus vereinigt. Sie schafft auf diesem Planeten eine neue Ordnung. Bei den Sternen, es ist eine neue Welt!«
    Josh fühlte sich von diesem Gerede ein bisschen gebannt; er hätte nicht sagen können, warum. Ein mehrdeutiges Gemisch von Abscheu und Hoffnung erfüllte ihn, als hätte er Weinschläuche voll Quecksilber getrunken. Er entdeckte, dass er sich nicht bewegen konnte, aber dann fiel ihm plötzlich der Zorn ein, der ihn hierher geführt hatte.
    »Aber das Leid, das ihr erzeugt habt –«, begann er.
    »Mittel gegen Zweck«, erwiderte der Neuromensch gewandt. »Ein alter, sinnloser Streit. Alles ist Mittel, alles Zweck. Du glaubst, dass es jetzt mehr Tod und Leid gäbe als vor unserer Zeit? Nein, das ist falsch. Wir haben das nur auf einen Zweck ausgerichtet. Das ist der einzige Unterschied. Wir haben dem ewigen Ablauf Zweckbestimmtheit eingeimpft.
    Weißt du, was die Welt jetzt ist? Anarchie, Joshua. Eine neue, nicht zu unterscheidende Phase im endlosen Kreislauf von Konflikt, Ringen, Herrschaft und Wirrnis auf dieser Erde. Das ändern wir alles. Wir stellen die Biosphäre um. Wir erheben das Ausmaß der Integration dieser Welt zum Sinn des Universums …«
    Josh verlor den Faden. Er wusste, weshalb er hier war.
    »Wegen eurer Pläne ist Dicey tot«, klagte er.
    »Es gibt keinen Tod«, versicherte Gabriel. »Diese Dicey – sie war eine geliebte Person? – ihre Energie wird zu uns allen zurückkehren. Ihre Leiche wird im Meer zerfallen, sie wird den Korallen beim Wachstum helfen, sie wird verzehrt werden von Meeresvögeln, die sterben und zerfallen und die gelben Blumen nähren, die den Sauerstoff abgeben, den du selbst einatmen wirst – Moleküle deiner lieben Dicey – und einen Teil behalten wirst, einen anderen wieder ausatmen wirst, um ihn über die Erde zu verstreuen, und einen Teil in die Weiten des Universums zu entsenden. Alles ist ein einziges Energiefeld, wie das Feld gelber Blumen, das die Luft mit dem süßen Duft von Diceys Elektronen und deinen und meinen erfüllt. Wir sind alle für immer da.«
    Josh bemühte sich, das in Beziehung zum Massenmord an menschlichen Wesen zu sehen, aber es fiel ihm schwer, seine Gedanken zu ordnen – schwer, sich zu konzentrieren.
    »Was die übrigen Menschen hier angeht«, fuhr Gabriel fort, »so gehören sie alle zum Großexperiment der Königin. Sie hat diese Scharen mit Sorgfalt gesammelt, ausgesucht nach den besten, den entscheidend wichtigen Gehirnen. Wir ENGEL sind bei den eigentlichen Operationen natürlich ihre Hände gewesen – beim Einpflanzen der

Weitere Kostenlose Bücher