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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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war die Schädeldecke abgenommen, das Gehirn entfernt. Er rannte zurück zu Lewis und legte die Hände auf das Glas. Er wollte schreien, brachte aber keinen Laut heraus. Er hieb auf das Glas ein, bis seine Fäuste schmerzten, aber es zersprang nicht; er versuchte den Sarg umzuwerfen, doch der rührte sich nicht. Lewis blieb liegen, ewig in Frieden, ungerührt; ohne Gehirn.
    Joshua verlor für eine Zeit den Verstand.
    Er hetzte wie ein Wahnsinniger zurück in den ersten Saal, stürzte Tische um, warf Glasbecher an die Wand, zerfetzte Bücher, brach Maschinenteile ab, lief im Kreis herum, bis er am Boden zusammenbrach. Einige Minuten lang blieb er sitzen, wie gelähmt.
    Dicey war tot. Dicey war tot. Ollie würde den Rest seines Lebens in einem Alptraum verbringen. Lewis war … Lewis war …
    Rose. Er musste Rose finden. Er durfte sich von diesen Wahnsinnsbildern und entmenschten Machenschaften nicht aufhalten lassen. Er würde wenigstens Rose finden und sie aus diesem Schreckensbau herausholen.
    Er betrat erneut Nirwana.
    Gründlich untersuchte er jeden Glassarg und atmete durch den weit geöffneten Mund, um sich nicht erbrechen zu müssen. Er erkannte niemanden.
    Die Tür zum dritten Raum war abgesperrt, aber mit beinahe übermenschlicher Kraft brach Josh sie auf. Ein kleiner Knochen im Fuß brach dabei, doch dergleichen nahm er nicht mehr wahr. Es ging um Größeres.
    Auch dieser Raum war voller Leichen. Im Gegensatz zu den anderen lagen sie nicht unter Glas, sondern nebeneinander auf riesigen Federmatratzen, die den ganzen Raum ausfüllten. Die meisten regten sich nicht, aber einige zuckten ein wenig. Bebend trat Josh in den schwach beleuchteten Saal.
    Er berührte den ersten Menschen. Warm, trocken. Starker Puls. Es war ein nackter Mann, kahlköpfig, scheinbar im Schlaf. Daneben lag ein ebenfalls nackter Mensch, auch er kahl. Josh begriff, dass bei allen Schlafenden die Köpfe rasiert worden waren. Und dann erkannte er, dass der nächste Mensch daneben Rose war.
    Er fühlte ihren Puls. Kräftig. Er legte sich zu ihr – zwischen Rose und den nächsten Menschen. Minutenlang blieb er bewegungslos liegen, bis er sich langsam beruhigte, Kraft aus ihrer Wärme gewann, aus ihrer Friedsamkeit. Er streichelte ihre weiche Wange.
    »Rose, liebe Rose«, flüsterte er.
    Endlich setzte er sich auf.
    »Komm, wir gehen«, sagte er entschlossen und hob sie hoch. Aber irgend etwas verfing sich. Er konnte sie nicht hochziehen. An ihrem Hinterkopf hielt irgend etwas sie fest.
     
    Er kroch mit wachsendem Entsetzen zu der Stelle, wo ihr Kopf lag. Er umfasste ihren Hinterkopf mit den Händen und fühlte, wie alles in ihm zerfloss: Aus ihrem rasierten Hinterkopf ragte ein Kabel. Er drehte den Kopf vorsichtig zur Seite. Da war es, scheußlich, Übelkeit erregend: ein schwarzes, daumendickes Kabel, eingesteckt in eine fast acht Zentimeter lange, schmale, rechteckige Fassung, eingepflanzt in ihren Schädel. Die Operation lag noch nicht lange zurück, die Wunde war noch nicht verheilt, man sah die Nähte noch.
    Josh ächzte fassungslos. Nein, das war das Grauen, er glaubte es nur allzu gut. Mit einem erstickten Schrei riss er den Stecker aus ihrem Kopf. Sie zuckte kurz in seinen Armen und erschlaffte. Er tastete nach ihrem Puls: immer noch gefüllt.
    Er nahm plötzlich ein rotblinkendes Licht über der Tür wahr, durch die er den Raum betreten hatte. Auch im Vorraum blinkte es rot. Er hob Rose hoch, trug sie mühelos in den Vorraum, zerrte an der Tür, die in das Hauptlabor führte; sie war jetzt verschlossen. Auch die Türen ›Vorbereitung‹ und ›Nirwana‹ erwiesen sich als abgesperrt. Er versuchte sie durch Fußtritte zu öffnen, aber sein Fuß schmerzte jetzt, außerdem hatten die Zweifel an seinen Kräften genagt. Er lief zurück in den letzten Saal.
    Dort gab es hinten noch eine Tür.
    Sie befand sich neben einer großen Öffnung in der Wand, durch die sämtliche Kabel aus den rasierten Köpfen in einem dicken Strang verschwanden. Die rote Lampe blinkte nach wie vor. Er versuchte die Tür zu öffnen. Sie ging auf. Mit Rose über der Schulter betrat er den nächsten Raum.
    Hier war die Beleuchtung taghell. Er kniff die Augen zusammen, sank auf die Knie, setzte Rose ab. Er versuchte sich zurechtzufinden, seine Augen dem Gleißen anzupassen. Schlagartig fiel die Tür hinter ihm zu. Josh fuhr herum und sah einen hochgewachsenen, engelschönen Mann vor sich stehen. Es war kein Mann, sondern ein Neuromensch.
    »Willkommen«, sagte die

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